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Hundstage

Hundstage

Titel: Hundstage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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und Kuchen erzählte er ihr, wie schwierig das Dichten sei, und er verstehe das nicht, ihm komme das irgendwie von selbst.

    Das Löwenheckerchen telefonierte zu diesem Zeitpunkt schon eine ganze Stunde lang mit ihrem Freund im fernen Frankreich, und es war nicht das erste Mal, daß sie das tat, auf Sowtschicks Kosten: Wie gut, daß er das nicht ahnte, seine Wut hätte keine Grenzen gekannt.

    S owtschick fuhr in die Stadt zurück, die sich belebte. «Alexander!» rief seine Mutter. – «Ist ja gut, ist ja gut … », murmelte er und ging zum Friseur, wo ihm ein dickes Mädchen herrlich den Kopf massierte.

    «Ist es so angenehm, oder mach ich zu doll?»

    Danach holte er sich dreihundert Mark von der Bank, wobei er an die Quecksilbersäule seines Kontos denken mußte, daß sie nun drei Strich fallen würde. Er sah den Bankleiter in Kreuzthal sein Kontoblatt betrachten und hörte ihn sagen: «Der Sowtschick, der Sowtschick, was macht er nur, was macht er nur?» Für eine Hochschnellung seines Kontostandes ins strahlende Haben mußte er sorgen, ein Brief an Hessenberg war fällig. Auch nicht grade angenehm.

    Von einem Teil des Geldes kaufte Sowtschick sich ein Oberhemd mit Klett-Verschluß. Es war verwaschen grün und hatte Netzärmel und allerlei aufgenähte Taschen: «Ich gehe meilenweit für eine Camel!», so in diesem Stil, und konnte als Uniform für progressive Schriftsteller angesehen werden. (Holderbusch trug neuerdings Krawatten.) Ihm fiel die junge Bettlerin wieder ein: ICH HABE HUNGER, und er kam darauf, daß es die Scherenschleiferin gewesen sein mußte. Wie hatte er das nur vergessen können … Die Scherenschleiferin mit der weißen Cordhose, die Sklavin, die ihm mit abgespreiztem kleinen Finger seine Küchenmesser ruiniert hatte. Sowtschick beschleunigte den Schritt: Vielleicht war sie ja noch da.

    Durch den Hauptbahnhof ging er, in dem mit Preßluftbohrern gearbeitet wurde, die Mönckebergstraße hinunter, über den Rathausmarkt, «Alexander!» Statt des einen Johannisbeeren essenden Pantomimen sorgten hier inzwischen Straßenmusiker für Unterhaltung, meist mit Gitarre, Rock-Idole nachahmend, aber auch Musikstudenten mit Geige oder Flöte Klassisches versuchend: junge Menschen in tapferer Einsamkeit. Sie ließen das Gute, Edle über die Touristen-Kretins dahinwehen, ohne in ihnen eine Ahnung des Göttlichen zu wecken.

    «Alexander!» hörte Sowtschick es wieder und wieder rufen.

    «Jaja», sagte Sowtschick laut. «Nun gib doch endlich Ruhe.»

    Unter dem Barlach-Denkmal – «Vierzigtausend Söhne unserer Stadt …» – agierte eine romantische Folklore-Band aus Südamerika: Flöten, Gitarren, eine Trommel und ein junger Mann, der mit Muscheln an einer Schnur effektvoll rasselte. Sechs Musiker waren es, Leute, deren Sippe von Landspekulanten mit Dynamitstäben beworfen worden war. Hinter ihnen, auf einer steinernen Brüstung, saßen, wie es sich gehört, die Ehefrauen der Musiker, mit Männerhüten auf dem Kopf und Kindern zwischen den Beinen. Hierfür hatte Sowtschick nur einen kurzen Blick, er suchte die Bettlerin, und die war leider nicht mehr da.

    Die Jury des Barthold-Hinrich-Brockes-Preises tagte im Evangelischen Hospiz, fünfzehntausend Mark hatte der Senat von den zweihundert Millionen des Kulturetats für Literatur abgezweigt, die waren jährlich an Nachwuchs zu vergeben, aber auch an «gestandene» Talente; zur Ermutigung also diente dieser Preis und zur Anerkennung des Bewährten. Diese Doppelaufgabe war es, die im Kreise der Juroren Jahr für Jahr für Zündstoff sorgte.

    Der hamburgische Autor Neelsen, ein mit Schuppen bedeckter Greis, dem aus Nase und Ohren Haare sprossen, war der Meinung, daß man jungen Dachsen, die eben aus dem Ei gekrochen sind, kein Geld in den Schnabel schmeißen soll. Er war zweiundachtzig Jahre alt und hatte es in seinem Leben schwer gehabt.

    Der extra aus München angereiste Kritiker Achilles hingegen, ein dicker, fleischiger Mann mit herunterhängender Unterlippe, eben aus den USA kommend und morgen nach Buda«pescht» weiterreisend, der das hochsommerliche Wetter «verblödend» fand, blauer Himmel gefährde die Potenz, protegierte gern junge Leute, insbesondere weiblichen Geschlechts, wozu er reichlich Gelegenheit hatte, denn er war Mitglied von dreizehn Literatur-Jurys. Den alten Neelsen hatte er einmal einen Verfasser von Grüß-Gott-Büchern genannt, seitdem war Feindschaft zwischen beiden, obwohl sie sich beim Votieren meistens einig

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