Hundstage
Band geblättert, und zwar unmittelbar bevor er seinen Vorschlag machte. Er habe gefunden, daß dieses Buch nicht nur äußerlich gut aufgemacht sei, sagte er, sondern auch mit erhaltenswerten Drucktypen gedruckt, «ganz offensichtlich Handsatz, oder?» sagte er zu seinem Freund gewandt, der das ja auch nicht wußte.
«Interessant, interessant», sagte Achilles, in das großäugige Porträt der jungen Dichterin vertieft. Mitunter votierte er nur deshalb für eine Autorin, weil er hoffte, er würde beim Verleihungsfestmahl neben ihr zu sitzen kommen.
Hier war es nun der alte Neelsen, der alle Träume auf rasche Entscheidung vereitelte. Er öffnete das Büchlein roh, kratzte mit seinem gespaltenen Zeigefingernagel darin herum und begann die lyrische Prosa von Frau Butt-Prömse speichelnd zu zerpflücken. «Schlachtefest» nannte er das.
Ihm sei völlig unbegreiflich, sagte er, die Runde durch seine ungeputzte Brille musternd, wie in dieser Jury ein solcher Vorschlag möglich sei. Die Dame, wie heiße sie noch?, sei gewiß ein verdienstvolles Mädchen, aber bei diesem Geschreibsel brauche man doch nur die linke Seite zu lesen, um zu wissen, was auf der rechten steht: Das Machwerk einer frustrierten Soziologiestudentin mit Torschlußpanik. In den zwanziger Jahren hätten sie so was «Vielleicht-geht’s-durch-Lyrik» genannt. – Dieses Buch verschwände eines Tages, lande im Ramsch, wo es auch hingehört. Wie gesagt, ihm sei absolut unverständlich, daß in dieser Runde ein solcher Vorschlag… Und er guckte Sowtschick ernst an.
Das brachte Sowtschick auf die Palme. Hitze schoß ihm in den Kopf. Er kannte zwar weder Autorin noch Buch, aber das konnte Neelsen doch gar nicht wissen. Dies war ein Angriff auf ihn! Der Mißachtungs-Ausfall eines kleinkarierten Greises. Er zitterte am ganzen Körper, und das Blut wich ihm aus dem Kopf, in den es eben grade erst hineingeschossen war. Er sah sich bereits wieder als King-Kong über dem Abgrund stehen, um den zappelnden Neelsen hinabzuschleudern – in dem Augenblick öffnete sich die Tür. Die ansprechende Serviererin trat ein, und das erregte die Aufmerksamkeit aller Herren. Es war aber auch allerliebst, wie sie, eine große Schleife am Podex, das Tablett hereinbalancierte und die Tür mit dem Fuß zustieß.
«Wer bekam den Gin Tonic?» fragte sie, und alle Herren halfen ihr beim Verteilen der verschieden großen Gläser verschiedenen Formats.
Man dürfe ihr nachher auf gar keinen Fall ein Trinkgeld geben, wurde gesagt, da sie vermutlich aus gutem Hause sei.
Als sie wieder draußen war, schlug Achilles dem verdutzten Sowtschick auf die Schulter und meinte, es sei ihm so, als habe das Mädchen ihn erkannt. Was? «Romanautor müßte man sein!» Diese Zuwendung ließ Sowtschick aufblühen. Vielleicht bedeutete die Leutseligkeit des Groß-Kritikers, daß er sich, was ihn und seine Produktion betraf, umorientiert hatte? Vielleicht war ja von dieser Seite doch noch mal eine wohlwollende Kritik zu erwarten? Die «Winterreise» würde es gebrauchen können.
Nach allgemeinem Gegluckse dezentrierte sich die Sache. Sowtschicks Vorschlag war vergessen. Achilles schlug die theoretische Arbeit eines Exil-Tschechen als preiswürdig vor – «Parteiungen in der Veröffentlichungspraxis der dreißiger Jahre». Man habe diesen Mann mit einer ABM-Stelle nach VGR abgespeist, dem würde etwas PR guttun, abgesehen von den fünfzehntausend Mark.
Hier teilte der Senatsbeamte mit, daß er dem Mann das Geld durchaus gönne, hundertprozentig, aber das Werk sei schon einmal eingereicht worden. Satzungsgemäß verentfalle es diesmal.
Neelsen, der früher einmal Geige gespielt hatte, votierte für das Oratorium eines Chilenen. Er hob eine Kassette in die Höhe und wedelte damit herum. Das provozierte den fleischigen Achilles: «Ein Oratorium? Da frage ich mich denn doch …», und Sowtschick hieb eine meckernde Lache in die Gegend. Gern hätte er dem Mann die Zunge herausgestreckt und sich mit zwei Fingern Häschenohren an den Kopf gemacht.
Von Dornhagen sprach für einen Band fiktiver Tagebuchaufzeichnungen, in denen ein Mann namens Lechner einen Spaziergang zu Schauplätzen beschriebe, die Brockes zu seinen Gedichten inspiriert hätten. Gleichzeitig interpretiere der Autor die Gedichte und führe an Brockes Werk eine Art Gottesbeweis, und zwar auf hohem, der Lyrik angenähertem Niveau.
Achilles kannte das Buch. Er bemäkelte, daß der Verfasser, der ein kreuzbraver sein mochte, von
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