Hundstage
Brockes «unendlich kleinen Füßen» gesprochen habe – und damit war der Mann erledigt.
Die Serviererin erschien wieder und wieder, es ging auf acht, Zeit, diese Sache hier zu «verabschlussen», wie Schubert mahnte. Alles wandte sich der stillen Frau Klincke zu, die, in sich versunken, vor ihrer Zitronenlimonade saß: Die «Definitionen I» standen noch zur Entscheidung an. Gegen die hatte sich so recht niemand geäußert.
«Wären Sie denn bereit, liebste Frau Klincke, die Laudatio zu halten?» wurde gefragt, «für den Fall, daß …?»
Ihr kaum merkliches Kopfnicken zeigte an, wer das Rennen gemacht hatte. Eine Probeabstimmung brachte Einstimmigkeit zutage. Applaus! Gott sei Dank, das Kind war geboren, der Brockes-Preis würde dem unrasierten Schätzing zufallen, einem Autor, der die Bundesrepublik ein Irrenhaus genannt hatte, und diese Entscheidung würde keine Entrüstungsstürme hervorrufen, eher Beifall, und zwar aus unterschiedlichsten Gründen, sowohl von links als auch von rechts.
Schubert stand auf und sagte: «Ja, meine Herren, dann will ich ihn mal fragen! Drücken Sie mir die Daumen!» Er ging hinaus, um sich zu erkundigen, ob der junge Dichter in seiner Berliner Hinterhaus-Wohnung die fünfzehntausend Mark auch annimmt. – Irgendwann in der Geschichte des Brokkes-Preises war es passiert, daß bei der Verleihungszeremonie ein Dichter den Scheck zerrissen hatte und mit unflätigen Ausdrücken aus dem Saal gestürmt war. Damit das nicht wieder passierte, und um es zu «verschriftlichen», wie Schubert es ausdrückte, fragte man lieber vorher an.
W ährend Schubert am Münzfernsprecher den Autor Adolf Schätzing anflehte, den Preis anzunehmen, löste sich die Runde auf. Die Herren schaufelten, die Gelegenheit nutzend, jede Menge Bücher in die Aktentasche und erkundigten sich gegenseitig, wie’s denn so gehe und was die Kunst mache. Sowtschick fragte seinen Freund flüsternd, ob er nicht der Meinung sei, Neelsen wär ein Vollidiot? Was dieser so nicht gelten lassen wollte.
«Wer weiß, wie wir dastehen, wenn wir achtzig sind…», sagte er freundlich.
Sie gingen auch rasch noch einmal «für kleine Maulwürfe», wobei es Sowtschick auf der Treppe passierte, daß er von einem wildfremden Mann gefragt wurde, ob er ebenfalls von SCHARNOW sei?
An der Pinkelrinne wollte Achilles, den niemand auf der ganzen Welt gefragt hätte, ob er auch von SCHARNOW sei, von den links und rechts stehenden Kollegen wissen, woran sie denn momentan schrieben.
Sowtschick, durch die freundlichen Worte des Kritikers ermutigt, sagte, es sei eigentlich rasend komisch, aber er schreibe jetzt in dieser Hitze einen Roman über einen Autor, der im Winter an einem Sommerroman sitzt, und in diesem Sommerroman kommt eine Frau vor, die – und das fiel ihm in diesem Augenblick ein – ein Gedicht mit dem Titel «Frost» verfaßt.
Achilles beendete seine Entleerung und sagte so laut, daß es die ganze Pinkelbesatzung hören mußte: «Interessant, interessant… Aber, mein Guter, wozu der Umweg, warum schreiben Sie denn nicht gleich das Gedicht?» Und dann lachte er, und die anderen Herren lachten auch.
Dahin, dahin möcht’ ich mit dir, o meine Freundin, zieh’n … Sowtschick verwandelte sich augenblicklich in einen Schuljungen, mit Ranzen auf dem Rücken, aus dem der Tafellappen heraushängt. Aus. So war denn jede Aussicht auf eine günstige Aufnahme der «Winterreise» dahin. Katz und Maus hatte Achilles mit ihm gespielt, das war offenbar.
Ich werde mich rächen, du verdammtes Schwein, dachte Sowtschick, und er überlegte, ob er ihm nicht Drohbriefe schreiben könnte, anonym, und nachts anrufen: Wie der dann wohl im Nachthemd aus dem Bett stürzte, eine Fangschaltung für sein Telefon beantragte und sich unter Polizeischutz stellte … Aber vielleicht hatte er die Fangschaltung ja schon… Also lieber lassen, diese Sache. Am besten, alle Autoren, die von ihm einmal mies behandelt worden waren, zu einer Darstellung von dessen Gemeinheiten veranlassen und sie in einer Anthologie zusammenfassen – aber das kannte man schon: All die lieben Kollegen schimpften über Achilles, aber wenn’s zum Schwur kam, kniffen sie.
Engelbert von Dornhagen hatte nicht gelacht. Auf der Treppe, die die beiden hinaufschritten, als seien das die Stufen zum Kapitol, flüsterte er Sowtschick sogar ins Ohr: «Unerträglich vulgär, dieser Mensch …» Worauf Alexander sagte: «Ja, ein richtiger Drecksack!»
Oben segelte ihnen der
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