Hundstage
allzuviel Schicksal getadelt.
Großgebärdig machten sich die Herren am Büchertisch zu schaffen. Sie hoben einzelne Exemplare rühmend in die Hö-he, schoben andere mäkelnd zur Seite – «Äch! Nazizeit!» –, und der Senatsbeamte hatte zu tun, daß die von ihm erarbeitete Grobeinteilung nicht durcheinandergeriet. Außerdem paßte er auf, daß keiner ein Buch einsteckte. Der Bestand mußte stimmen, denn die Einsendungen sollten satzungsgemäß öffentlichen Bibliotheken zugeführt werden.
Die Herren also wühlten in den Büchern, wobei es sogar zu Wegstoßungen kam. Der alte Herr Neelsen – «Mit dem Fahrrad um die Welt» –, ein Schreiber von eigenen Gnaden, wie er sich nannte, stieß an eine Wandleuchte, so daß seine Brillantinehaare hinten hochstanden.
Schließlich hatte jeder vor sich einen Stapel Bücher, vom Büchertisch genommen oder aus der Aktentasche gezogen, gespannt, was sich nun ereignen werde. Auf keinen Fall als erster was sagen. Das war die Devise.
Frau Klincke hatte ein geschmackvoll aufgemachtes karges Bändchen vor sich liegen. Es waren die gesammelten Gedichte von Adolf Schätzing: «Definitionen I», einem unrasierten Mann, der erst kürzlich aus der DDR in die «Be-Er-De» übergesiedelt war. «Vom Zuchthaus sei er ins Irrenhaus geraten», hatte er bekanntgegeben. In einer Berliner Hinterhaus-wohnung, unweit des KaDeWe, lebte er in Gesellschaft von sechs Katzen und zwei Frauen, tagsüber damit beschäftigt zu brutzeln. Kleine kostbar-schöne Vierzeiler schrieb er zwischen Küchenherd und Bett, die anders waren als alles, was sonst so «auf dem Markt» war, wie es der Senatsbeamte ausdrückte.
Achilles zog sein eigenes Exemplar der «Definitionen I» hervor und wedelte damit herum: «Interessant, interessant!» rief er, und auch Neelsen äußerte sich positiv, der fand das durchaus lesenswert. Die Sachen seien irgendwie «schenial», sagte er sogar. In den zwanziger Jahren habe er einen Freund gehabt, der habe damals so ähnlich geschrieben, an den erinnerten ihn die Gedichte irgendwie.
Engelbert von Dornhagen, der sein Pfeifenetui vor sich ausgebreitet hatte, in dem, wie in einem Klappaltar, sechs Pfeifen staken, drei zur Rechten, drei zur Linken, sowie Reiniger, Streichhölzer und ein gelbes Staubtuch, strich sich den Bart. Er war auch der Meinung, daß die Gedichtsammlung «Definitionen I» mit Abstand das Beste sei, was er seit langem gelesen, er rühmte den hohen Ton, den der Autor angeschlagen habe, die Durchlässigkeit der Schichten …
«Aber» – und dieses «aber» wurde allseits vernommen (wie sehr man auch durcheinanderredete) – seines Wissens habe Schätzing schon tausend Preise bekommen, und von daher, meine er, solle man doch ein wenig Zurückhaltung üben.
Sowtschick pflichtete seinem Freund bei. Im Grunde war ihm dieser Aspekt egal, was gut ist, soll ruhig öfter mal belohnt werden, dachte er, und wenn sich die Ansicht seines Freundes durchsetzte, würde er niemals wieder einen Preis bekommen, also keine dieser schönen runden Summen, die, wenn die Laudatio entsprechend abgefaßt war, nicht versteuert zu werden brauchten. Nein, ihn störte etwas anderes, etwas, das in dieser Runde und auch sonstwo keinesfalls ausgesprochen werden durfte: daß Schätzing aus der DDR kam. Er hatte nichts gegen «die Brüder und Schwestern jenseits des Eisernen Vorhangs», aber es war, wie ihm schien, schon ziemlich Mode geworden, die Leute von drüben mit Preisen zu überhäufen.
Da Adolf Schätzing nun erst einmal abgetan war, und um auch einen Beitrag zu leisten, zog Sowtschick aufs Geratewohl einen fesch eingebundenen Band lyrischer Prosa aus seinem Stapel und warf ihn wie Pik-As auf den Tisch. Die Verfasserin hieß Ellen Butt-Prömse. Vor Jahren hatte sie sich mit Pferdelyrik befaßt, jetzt war sie eher bekannt aus grünalternativen Emanzipationsveranstaltungen. Erst kürzlich hatte sie behauptet, ihren Geschlechtsgenossinnen seien von den Modemachern nur deshalb hochhackige Schuhe zudiktiert worden, damit sie vor gierigen Machos nicht so schnell flüchten könnten.
Ellen Butt-Prömse? «Abrichtungen»? Dieser Vorschlag verdutzte die Runde.
Von Dornhagen legte den Kopf schief und stopfte den angerauchten Tabak mit dem Stopfer fest, und der Senatsbeamte machte ein Gesicht, das jederzeit in Begeisterung oder Indignation changieren konnte, je nachdem, in welche Richtung sich die Mehrheit bewegen würde. Frau Klincke schwieg.
Sowtschick hatte nur einmal kurz in dem
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