Hundstage
gewesen war und eine unübersichtliche Nachkommenschaft in die Welt gesetzt hatte, bezeichnete den Norden Europas als eine uninteressante Tundra, er begreife nicht, daß sein Sohn Karsten freiwillig nach Hamburg gegangen sei, hier sei doch literarisch überhaupt nichts los.
Dies brachte die gesamte Mannschaft gegen ihn auf, besonders Neelsen – «Mit dem Fahrrad um die Welt» –, wie anregend allein die Existenz des Hamburger Hafens sei, sagte er, dieses weltoffen Hanseatische. Und dann zählte er alle möglichen Zeitungen auf, die in der Stadt erschienen. Dagegen sei München doch eine publizistische Wüste …
«Ohne Dings kein Bums.» Von seinem Heiterkeitserfolg angestachelt, beteiligte sich Sowtschick nun eifriger am Gespräch, er hatte es wohl gesehen, daß auch Achilles darüber gelacht und anerkennend um sich geblickt hatte. Vielleicht war dessen Flapsigkeit an der Pinkelrinne doch nicht so ernst gemeint gewesen, vielleicht war der Herr doch noch herüberzuziehen? Leider machte Sowtschick nun den Fehler, durch Neelsens Hamburg-Rühmung dazu angeregt, das Romaneschreiben groß und breit mit der Seefahrt zu vergleichen: Tiefgang müsse das Schiff haben, der Kapitän müsse Kurs halten können, und der Treibstoff dürfe auch nicht fehlen.
Hier lachte Achilles laut, und es gelang ihm, die Runde mitzureißen: «Treibstoff?» rief er und prostete Sowtschick fröhlich zu: «Ohne Dings kein Bums! Was?»
Sowtschick verfluchte sich. Das Romanschreiben mit der Seefahrt zu vergleichen! Diesen blöden Einfall, der bei minderen Gesprächspartnern sonst immer so gut zog, würde Achilles nie vergessen. Und wenn die «Winterreise» eines Tages in den Schaufenstern läge, würde Achilles todsicher Sowtschicks Seefahrtsvergleich in seine Rezension einarbeiten. Sowtschick verfluchte sich: Wie hatte er so leichtsinnig sein können. Er mußte doch wissen, daß Achilles auf der Lauer lag, immer wach, immer gemein!
Der Senatsbeamte hatte ein wenig zu laut gelacht über Achilles. Das würde ihm heimzuzahlen sein, eines Tages.
Frau Klincke, die neben Sowtschick saß, wachte auf aus ihrer Selbstversunkenheit. Sie sagte klar und deutlich: Wieso? Der Vergleich sei doch gar nicht so schlecht? Ein Ozeandampfer? Mit diesen verschiedenen Zwischendecken – sie als Feuilletonistin beneide seit langem die Arbeit der Romanautoren – diese Vielschichtigkeit … Und dann sagte sie, daß sie Sowtschick bewundere, wie sicher er in seinen Romanen die Fabel vorantreibe, ohne auch nur ein einziges Motiv zu vergessen. Die Ökonomie seiner Erzählungsweise sei bestechend und das Gespür, mit dem er die zur Zeit vorherrschenden Neoströmungen meide, staunenswert.
Nun, da mußte die Runde passen. Keiner außer von Dornhagen und Frau Klincke hatte je etwas von Sowtschick gelesen, und außerdem dachte jeder an seine eigenen Sachen und stellte sich die Frage, ob Frau Klincke die wohl auch gut findet?
Sowtschick aber strömte über. So war denn doch noch nicht alles verloren, es gab noch Menschen, die zu ihm hielten. Achilles würde schon noch einen Fehler machen, irgendwann, und dann gnade ihm Gott. Er versuchte das Lob zurückzugeben an Frau Klincke. Ihm gehe es genau umgekehrt, sagte er. Er seinerseits bewundere die Feuilletonisten, er sei immer ganz ratlos, wenn er einen theoretischen Aufsatz verfassen müsse, dieses erbarmungslose Geradeaus, dieses Folgern … Das habe er schon als Pennäler nicht gekonnt. Und dabei fiel ihm siedendheiß der Parteien-Aufsatz für den «Globus» ein. Noch kein einziges Wort hatte er notiert! Und auch nicht abgesagt die Sache! Eine leere Seite würden die Leute mit seinem Namen bedrucken und da drunter: Sowtschick hat sich gedrückt!
In diesem Augenblick erinnerte sich die Runde daran, daß Frau Klincke für Rundfunksendungen zuständig war, die gut honoriert wurden. Man nahm die unkündbare Redakteurin in die Mitte, beglückwünschte sie zu dem Riecher, den sie immer wieder unter Beweis stelle, «Definitionen I», und verabredete mit ihr Lesungen.
Neelsen, der Geld nötig hatte, schlug sogar eine literarische Gesprächsrunde vor, jeden Dienstagabend, in der man sich die Bälle immer so zuwerfe …
Sowtschick trank in großen Schlucken Rotwein: Nach all den gutgemeinten Eierspeisen in Sassenholz schlug er sich hier jetzt anständig voll: Markklößchenbouillon, Steinbuttcreme und Kalbsbries.
«Wie schmeckt’s?»
«Prima!»
Bei Mirabellensorbet dachte er an seinen Winterroman, alles noch mal
Weitere Kostenlose Bücher