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Hundstage

Hundstage

Titel: Hundstage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Gehirn übertragenen griffigen Harmonien in einen gestriegelten Aggregatzustand versetzt wurde. Parallelität der Herzen stellte sich ein, und trotz des Klavierspiels war es ganz still.

    In diesem Augenblick wurde ein alter Latschen ans Fenster geworfen, und man hörte jemanden raschelnd fortlaufen. Die beiden stillen Menschen fuhren zusammen! Bargen sich hinter dem Vorhang! Alles, was in ihnen sich irgend zur Ruhe gelegt hatte, richtete sich auf! Die Parallelität zerkräuselte!

    Als jedoch nichts weiter erfolgte, ließ die Spannung rasch nach, Adelheid weinte – und dieses Weinen war anders als das laute Schluchzen Gabrieles, es war mehr ein Flennen, und Sowtschick hätte es auch so genannt, wenn er nicht an anderes hätte denken müssen. Hier stand er in seinem Studio, ein junges blühendes Mädchen im Arm, neben dem Flügel, dessen Mechanik eben noch kosmischen Wohlklang von sich gegeben hatte, unweit des Schreibtisches, von dem aus er seine Geschichten in die Welt hinaussandte: Nichts von Vätern, die ihre Kinder essen, stand in ihnen zu lesen, und doch hätte ihr Autor gern hineingebissen in den jungen appetitlichen Nacken, der sich ihm mit seinen goldenen Härchen darbot.

    Adelheid beruhigte sich allmählich, sie traten schließlich gemeinsam, leicht umfangen, nun schon wieder ganz Tschechow, nach draußen auf die Terrasse, zu Engelbert und Gabriele: Alexander von Humboldt bei der Betrachtung eines Sternschnuppenschwarms. Die beiden waren in ein Gespräch vertieft, an dem teilzunehmen ihnen nicht gerade leicht gemacht wurde.

    Das Löwenheckerchen hatte dem bartzupfenden von Dornhagen Ewigkeitsgedichte aus ihrer laufenden Produktion vorgelesen, und Engelbert war nun dabei, die Verse eindringlich zu interpretieren. Die junge Dichterin war völlig platt: Daß da so viel drinsteckte, hatte sie ja gar nicht geahnt! Die eisige Zeit in der erdfarbenen Ewigkeit? Und daß das darüber hinaus noch «repräsentativ» sei? Dann war das also gut?

    Von der Latschen-Attacke auf das Studio-Fenster hatten sie nichts mitgekriegt, das heißt, sie hatten wahrgenommen, daß da was war, aber sie hatten gedacht, ein scheues Reh vom goldenen Licht der Lampe angelockt oder so was. Die Nichten allerdings, die kurz darauf mit den Hunden ziemlich außer Atem ebenfalls zu der Runde stießen, wußten von zwei Männern zu berichten, die aus dem Dunkel getreten waren. Nun, da ging man vielleicht doch besser wieder hinein ins Haus? Die Vorhänge wurden zugezogen, und eine dritte Flasche «L» wurde geleert, die nun schon das Prädikat «ausgezeichnet» bekam. Dann kam man auf den Mord zurück. Wo genau es passiert sei, wollte von Dornhagen wissen, und ob das Mädchen erstochen, erwürgt oder erschlagen worden sei? Von Winckelmann erzählte er, in Italien, daß man den Wissenschaftler wegen ein paar Goldstücken ermordet habe!

    «Na ja, die Italiener …»

    E he von Dornhagen noch ins altvertraute Fahrwasser glitt, von Gabriele dazu ermuntert, lenkte Sowtschick, der sich bereits wieder an den Flügel gesetzt hatte und in den Mozart-Sonaten blätterte, das Gespräch noch einmal auf das jüngste Opfer menschlicher Brutalität, auf Erika. Nun wollte auch er wissen, wo es eigentlich passiert war, und da die Mädchen die Stelle kannten, setzten sie sich dicht an dicht ins Auto und fuhren in den Wald, an der im Mondlicht weiß daliegenden Kiesgrube vorüber zum Torfabbaugebiet der Firma Senneschalk. Hier mußten sie aussteigen. Paarweise gingen sie ins Moor, wo die Entwässerungsgräben im Licht des Mondes silbern das Land karierten. Von Dornhagen mit Gabriele, Sowtschick mit Adelheid, und die leicht beschwipsten Nichten einander: «ba!!» erschreckend.

    Gabriele wußte es genau, der erste Graben, direkt neben dem Weg zur Arbeiterhütte, da war es gewesen. Schade, daß sie keine Taschenlampe mitgenommen hatten. Sie beugten sich gemeinsam über den Grabenrand – «Um Gottes willen, vorsichtig» –, wobei die beiden Männer jeweils eines der Mädchen hielten, die Nichten sich jedoch gegenseitig an den Rand des Grabens schubsten. Nein, trotz des Mondlichts war nichts auszumachen.

    Da flammte plötzlich der Scheinwerfer eines Autos auf, der geblendeten Gesellschaft wurde lauthals ein guter Abend gewünscht. Wie sich herausstellte, hatte der Linden-Wirt der Neugier eines späten Gastes Rechnung getragen, ein Mord? So was passierte doch nicht alle Tage… Er war gerade dabeigewesen, dem Mann – es war ein Vertreter der Firma Martini —

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