Hundstage
nicht dort gestanden. Kopie oder Original, das war die Frage. Sowtschick nannte sie die Idiotenvase, weil sie ihn an die Vase erinnerte, die der epileptische Fürst Myschkin bei Dostojewski zertrümmert.
Zu den Klängen der «Egmont»-Ouvertüre schritten sie dann zu Tisch – «Stell das mal ’n bißchen leiser» –, an die Schmalseiten des ausgezogenen Tisches setzten sich die beiden Freunde, an die Längsseiten links und rechts je zwei Mädchen, deren Eigenunterhaltungen über Schuldinge rasch unterbunden werden konnten.
An diesem Abend war Omelett an der Reihe, mit Pilzen. Gabriele servierte es, mit weißer Schürze, und Sowtschick nannte sie sein singendes, springendes Löwenheckerchen. Da hellte sich von Dornhagens Miene auf! Es heiße zwar nicht «Löwenheckerchen», sondern «Löweneckerchen», gleichviel – Grimms Märchen! Was für ein schöner Gedanke. Er greife immer wieder danach, urdeutsch, obwohl eigentlich französisch. «Min Swester de Marleeniken, söcht alle mine Beeniken … », das Märchen vom Machandelboom, diese Geschichte, in der der Vater sein eigenes Kind auffrißt.
«Min Moder de mi slacht’t, min Vader, de mi att»: Daß die Mädchen das nicht kannten, wunderte von Dornhagen, und er zählte andere Märchen auf, in denen Blutrünstiges vorkam, «von den Kindern, die Schlachtens miteinander gespielt haben», zum Beispiel, und er referierte die grausamen Strafen, die bei Grimm die Stiefmütter erleiden. In ein mit Nägeln ausgeschlagenes Faß gesteckt und den Berg hinuntergerollt zu werden, das müsse auch nicht gerade feierlich sein.
Ob Jugend heutzutage Märchen überhaupt noch kenne, fragten die beiden Herren sich, und sie warfen einander – «Falada, da du hangest» – edle Bruchstücke zu. Wer Märchen nicht kenne, könne die gesamte mitteleuropäische Literatur nicht verstehen.
Die Mädchen zerkrümelten verwundert ihr Brot. Schneewittchen hatten sie als Eisrevue gesehen und Rotkäppchen via Kassette gehört, aber sonst? Daß man so klug sein kann und so belesen, das war ihnen neu. Sie versuchten sich zwischen das Bildungstennis der beiden Herren zu zwängen: Gabriele stellte die Frage, ob Märchen für Kinder nicht zu grausam sind («I wo!»), und dann interessierte sie sich für von Dornhagens Napoleon-Bücher, einige Titel ließ sie sogar einfließen ins Gespräch, Sowtschick hatte sie ihr kurz zuvor genannt.
Engelbert riß die Brauen hoch, das hatte er nicht erwartet, daß sich Jugend für seine Sachen interessiert. Er hatte sie schon verlorengeben wollen. Nun streute er sich Pfeffer auf das Eiergericht und erzählte von dem Mamelucken Napoleons, Roustam, den der Korse in Ägypten aufgelesen habe, und dann ließ er die schönsten Geschichten aus seinem Fundus folgen, blutrünstige und galante. Die Liebesabenteuer Napoleons wurden ausgemalt, und der Ausdruck «tête-àtête» ist doch sehr sonderbar.
Gabriele fand das alles fetzig. Sie warf das blonde Haar hinter sich und drang nervös in den Napoleon-Forscher, noch immer mehr und mehr zu erzählen, und auch die beiden Nichten waren ganz Ohr. Das Lied von der «Lammer-Lammer-Straat» kannten sie von einer Klassenfahrt, daß das nun was mit Napoleon zu tun hat … Das war doch alles sehr merkwürdig.
Adelheid saß auf dem Platz der Hausfrau. Auch sie hatte gehört, daß Napoleon der Hafen war, den von Dornhagen nur allzugern anlief. Und weil das jetzt in vollem Gange war, zwinkerte sie Sowtschick zu, und dieser, von zunehmendem Wohlbehagen erfüllt, griff ihre Hand und spielte ein wenig damit, was von Dornhagen nachdenklich und die Nichten neugierig registrierten.
Marschall Ney, Schwarzenberg, Blücher – von Dornhagen kannte sich in der Ära der Befreiungskriege aus. Außerdem war er noch abergläubisch, ja er neigte zu Hokuspokus. So behauptete er zum Beispiel, er könne keine Uhr am Körper tragen, die bleibe sofort stehen. Ohne weiteres glaubte er auch die Geschichte von den Nacht-Silvesters, die ihm, als er mit Gabriele in den Weinkeller stieg, um eine Flasche Wein heraufzuholen, geoffenbart wurde. Daß sie in den schwarzen Fleck verschwänden, war doch sonnenklar!
Von Dornhagen hatte einen Loire-Wein ausgesucht, der ganz einfach «L» hieß und aus Hessenbergschen Weihnachtsschenkungen stammte. Sowtschick ließ sich die Flasche zeigen und war gespannt auf von Dornhagens Urteil. Man roch am Korken und naschte ein paar Tropfen und einigte sich zunächst auf «trinkbar». Schon bald mußte eine weitere
Weitere Kostenlose Bücher