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Hundstage

Hundstage

Titel: Hundstage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Griffspuren an der steilen glipschigen Grabenwand zu zeigen, als er Sowtschicks Auto kommen sah. Nun also leuchtete der Wirt seinen Zuschauern die Stelle aus, an der seiner Meinung nach das arme Mädchen Halt gesucht hatte, von ihrem Mörder erbarmungslos zurückgestoßen, ja vielleicht sogar mit einem Knüppel auf die Finger geschlagen und mit einer Astgabel unter Wasser gedrückt, bis nichts mehr übrigblieb von der Lebenskraft des kleinen, armseligen Geschöpfes.

    «Und hier», sagte der Linden-Wirt, «hier hat er sie wohl runtergemacht …», und er leuchtete mit seiner Taschenlampe einen Torfhaufen an, der da zum Trocknen aufgehäufelt war. Die Verwendung des Wörtchens «er» tat Sowtschick unaussprechlich wohl. Damit mußte dann ja wohl ein anderer gemeint sein.

    Der Wirt hatte es offensichtlich darauf angelegt, Sowtschick seine Loyalität zu beweisen. Zunächst hatte er vielleicht erwogen, die Dichterecke in seinem Lokal aufzulösen und sie dem Schützenverein zugänglich zu machen, nun fragte er in die Gegend, was das wohl für ein Vieh gewesen sei! Sich hier zu vergreifen an einem kleinen Mädchen! Das komme eben davon, daß hier so viel Gesindel rumläuft, die Arbeiter der Torffabrik, alles Ausländer, die hätten in seinem Lokal schon Hausverbot.

    «Diesem Schwein müßte man mit einem Rasenmäher …», rief er in die Gegend, vollendete aber nicht, was er hatte sagen wollen, sondern verstummte ziemlich plötzlich.

    Während sich die Gesellschaft hinhockte, um den Dingen auf den Grund zu gehen, erklärte der Linden-Wirt, der keinesfalls Latschen trug, sondern ganz normale Schuhe, dem Martini-Vertreter, wer das da drüben ist: Das sei Sowtschick, der berühmte Schriftsteller, dem man den Mord hier in die Schuhe schieben wolle, Alexander Sowtschick, hundertmal im Fernsehen gesehen, den kenne er doch, was? Und er sagte das so laut, als ob Sowtschick schwerhörig sei.

    «Haben Sie nicht diese Bücher da geschrieben?» fragte der Vertreter über den Graben hinweg, er glaube, sagte er, daß seine Frau ihm davon erzählt hat. Und dann wollte er wissen, ob Sowtschick alle Bücher mit der Hand schreibt und ob er zu Haus nicht irgendwelche Freiexemplare für Kunden lagern hat, so wie er Probierfläschchen? Dann vertrat er die These, es müsse dahin kommen, daß jeder Deutsche pro Tag zwei Martinis trinkt, dann sei ihm geholfen. Er ging ans Auto, öffnete die Tür seines Fords und holte eine Art Pilotenkoffer heraus, entnahm ihm zwei Probefläschchen und händigte sie Sowtschick aus, der sie sofort den Nichten gab. «Süß»! riefen die, schraubten sie auf, setzten an und tranken sie aus, auf einen Zug. Und da der Vertreter nochmals nach Freiexemplaren fragte, lud Sowtschick ihn zu einer Hausbesichtigung ein.

    «Ja!» riefen die Nichten, «und bring deinen Koffer mit!» Die Gesellschaft verfrachtete sich in die Autos, ohne Engelbert von Dornhagen allerdings, der Gabriele den brillantenen Sternenhimmel zeigen wollte. «Wir kommen zu Fuß nach!» sagte er, und das Löwenheckerchen sagte: «Wir sind in ’ner Viertelstunde da.»

    Die Halle, der Büchergang und das Studio. Und: «Raten Sie mal, was sich hinter dieser Tür befindet?» Das Bad mit den Hängepflanzen: «Donnerwetter.»

    Und während die Nichten auf Standfahrrad und Rudermaschine ihre Kräfte reduzierten, empfahl der Vertreter dem Hausherrn, eine Art Allianz signalisierend zwischen Künstler und Unternehmer, im Rest-Room, wo er doch bestimmt häufiger mit berühmten Kollegen, Filmschauspielern und Journalisten sitze, verschiedenartige Martini-Flaschen aufzubauen, auf Borde an der Wand in unterschiedlichen Farben und Größen. Das sei sehr dekorativ. Er werde eine «Kollexion» senden. Freuen würd er sich, wenn er als Gegenleistung irgendwelche Freiexemplare kriegen könnte, die Sowtschick als Schriftsteller doch sicher vorrätig habe.

    Nun kriegten ihn die Nichten zu fassen und setzten ihn auf die Rudermaschine, wo er den Zeiger des Kraftmessers dem roten Strich annähern mußte. Und als der leicht übergewichtige Mann das nicht schaffte, trieb ihn Rebecca mit einer Fliegenklatsche an. Sie gab Kommandos auf hebräisch, das heißt, sie redete so, wie sie annahm, daß Hebräisch sich anhört.

    Der Linden-Wirt gab sich in Sowtschicks Haus ziemlich ungeniert, mit seinen großen Füßen ging er umher. Der kannte das alles, schließlich hatte er hier ja neulich erst den Seniorenklub Alt-Wesermünde eingeschleust, der sich hinterher anerkennend

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