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Hundstage

Hundstage

Titel: Hundstage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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laß uns ruhig schlafen
und unsern kranken Nachbarn auch.

    Es folgte die «Mondscheinsonate», langsam ist gar kein Ausdruck, und in der «Apassionata» gibt es ein paar sehr schöne Stellen. Ganz ohne Rubinstein wurde das alles dargeboten, auch der Vater mit dem goldenen Zwicker trat nicht in Erscheinung, die pulsende Nähe eines jungen Menschen weiblichen Geschlechts, der ihm tatsächlich die Hand auf die Schulter legte und mit dem Daumen den Nacken rieb, herrschte vor.

    Schließlich wurde der Flügel zugeklappt, und Sowtschick fragte Adelheid, ob sie eigentlich schon mal seine Fluchtburg gesehen hat?

    Fluchtburg? Nein, keine Ahnung. Diese kuriose Sache da oben mit all den mysteriösen Schätzen wollte sie denn nun doch gern mal in Augenschein nehmen, und so stiegen sie gemeinsam hinauf – von den Nichten war nichts mehr zu vernehmen.

    Die Fluchtburg: An den nagelneuen Fenstergittern ließ sich rütteln, und der phantastische, brillantene Sternenhimmel war mal wieder ungeheuerlich. Wie Kamerad Lehmann in der russischen Gefangenschaft, erklärte Sowtschick dem Mädchen die Sterne, und er tat das nicht weniger kundig als Engelbert von Dornhagen.

    Nach der Besichtigung des gestirnten Himmels zeigte Sowtschick seine Münzen. Er improvisierte eine Geschichte um eines der unscheinbarsten Stücke, und das gelang ganz ausgezeichnet. Theodora kam darin vor, die Zirkusreiterin, die zur Kaiserin avancierte.

    Alexander hatte die Füße auf die Klappe des barocken Sekretärs gelegt und erzählte seiner Kanalschwimmerin, wie sich Theodora unerschrocken dem Pöbel entgegenstellt und dadurch ihrem verweichlichten Mann den Thron rettet.

    Adelheid saß in der Fensternische. Wenn ihr Geschichtsunterricht nur einmal so interessant gewesen wäre! sagte sie. Immer nur die KZ-Sachen. Morgens, mittags und abends, und was die Kommunisten für herrliche Menschen sind.

    Daß ihn die Russen zunächst ganz gut behandelt hätten, sagte Sowtschick, bei der Gefangennahme, «Frietz …», ganz verdutzt seien sie gewesen. Das dicke Ende sei dann noch gekommen, oh! oh! oh! Aber daß er gewußt habe, daß er das alles übersteht, die Zwangsarbeit mit all der Hungerei. Er habe immer gewußt, daß er das überstehen würde, genauso, wie er wisse, daß er achtzig Jahre alt werde und noch drei Bücher schreibe.

    Danach wurde über von Dornhagen und dessen «Hühnerglauben» gesprochen: Salz umschütten, Katze übern Weg, Spiegel kaputtschmeißen. Ein wunderbarer Mensch, aber eine kleine Macke habe er auch. Er ticke irgendwie nicht richtig, oder? Der Linden-Wirt mit seinen großen Füßen, die Senioren, Hoenisch mit seinen Hebeübungen und die Nichten – wahnsinnig nett, aber doch auch sehr sonderbar.

    «Ich meine, wenn sie wissen, daß sie nichts vertragen, warum trinken sie dann so viel?»

    «Und Gabriele – eine Jahresarbeit über Dornhagen schreiben, wo sie hier gewissermaßen an der Quelle sitzt…»

    Ja. Und was für Mühe sich Alexander mit ihr gegeben habe … Sämtliche Gedichte durchgelesen und die Fotos alle …

    Übrigens Fotos. Sowtschick entnahm dem Schrank einen Stoß Fotoalben und blätterte sie dem Mädchen, das hinzutrat, auf.

    Alexander in den Uffizien – weißer Anzug und Strohhut – und als ganz kleiner Junge an der Hand der Mutter: «Alexander! » Lang, lang ist’s her. Die Mutter, die ihn immer dann vom Spielen wegrief, wenn’s grade am schönsten war: «Alexander! » Kakao und Schmalzbrote. Nase putzen. Und dann die Nachkriegszeit: In Hamburg mit Marianne in einem Hinterzimmer gewohnt, am qualmenden Ofen Sirupbrote gegessen.

    Adelheid hatte ebenfalls Fotos in ihrem Zimmer, die wollte sie schnell holen, aber da kann man ja gleich mitgehen, das ist dann ja ein Abwasch. In der Dachkammer wurde das Radio angestellt, auf Kurzwelle gibt’s manchmal ganz originelle Sendungen, Sekten-Sachen, russische Propaganda, oder, wie jetzt, Rockmusik von der einschmeichelnden Sorte.

    Du bist mein ganzes Herz
du bist mein Reim auf «Schmerz» …

    Es war kein richtiger Stuhl vorhanden, und wenn das so ist, dann setzt man sich eben aufs Bett. Ob er nicht hört, daß es donnert? wollte Adelheid wissen. Und Sowtschick fragte, was denn ihr Ohrläppchen macht? Und dann war es soweit. Das Mädchen hatte gerade die richtige Größe für den Mann, sie lag neben ihm mit rasendem Herzen, und er hielt sie fest.

    «Daß du schon sechzig bist…», sagte sie, und im Radio war «Schwund», da piepten Morsezeichen über sie hinweg.

    D er

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