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Hundstage

Hundstage

Titel: Hundstage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Flasche geholt werden, und das Urteil erfuhr eine Verbesserung. Ziemlich gut sei dieser Wein, sagte von Dornhagen, recht gut sogar, und die anderen waren derselben Meinung.

    Die rasch angesäuselten Nichten warfen abwechselnd ihre Gläser um, und zwar aus unterschiedlichen Gründen: Rebecca aus naturbedingter introvertierter Abwesenheit, die pausbäckige «Pippi», weil sie ein Trampel war. Sowtschick schlug ihnen vor, den Wein am besten gleich aufs Tischtuch zu gießen. Aufstehen, Lappen holen, dabei mit dem Kopf an den Kronleuchter stoßen, daß es brennende Kerzen auf die Tafel regnete.

    «Die beiden sind an sich ganz in Ordnung», sagte Sowtschick zu seinem Freund und tat so, als seien sie taub, «stürmisch» seien sie, leidenschaftlich … Jeden Morgen begrüßten sie ihn mit einem Kuß! «Ist das nicht nett?»

    Die Nichten sagten: Davon wüßten sie nichts. Wenn er sich mal ordentlich rasiere, dann vielleicht … Rebecca, die an diesem Abend eine fahlgelbe Gesichtsfarbe hatte, trug einen winzigen Dutt, oben auf dem Kopf. Sowtschick stellte sie seinem Freund als eine kleine Jüdin vor, die schon mal als Hilfspolizistin in der Negev-Wüste eingesetzt worden sei. Dieser Spaß, von dem Sowtschick annahm, daß er sofort durchschaut würde, wurde für Ernst genommen, er löste größte Überraschungen aus. Von Dornhagen stellte eine Frage nach der anderen, und Rebecca, der ihre neue Identität mehr und mehr gefiel, antwortete phantasiereich. Sie fand es schick, daran zu glauben, daß sie jetzt Rebecca sei, die kleine Militärpolizistin aus der Negev-Wüste.

    Nach dem Obstsalat, der mit Rum angemacht war, gingen alle hinüber ins Studio. Die großen Mädchen nahmen ihr Strickzeug – zwei kraus, zwei schlicht – und setzten sich ins Sofa. Die Nichten hockten sich zu den Hunden auf den Fußboden. Von Dornhagen erzählte von berühmten Juden, die zur Goethe-Zeit unglaublich großartigen Einfluß gehabt hätten, Rahel Levin in ihrer Berliner Dachstube, auch eine phantastisch schöne und kluge Frau. Und Napoleon? Was meinten sie wohl, weshalb Heine ihn so vergöttert habe? Er öffnete seinen Tabakspfeifen-Klappaltar und blies in jede der sechs Pfeifen einmal kurz hinein, bis er sich für Nr. 2 entschied, ein Instrument aus Meerschaum, das er lang und breit wie den «Zerbrochnen Krug» erklärte. Der Geruch, der sich verbreitete, war honigsatt.

    Sowtschick setzte sich ans Klavier und spielte die «Moments Musicaux». Adelheid hatte sich in die Sängerbucht gestellt und lauschte besonders aufmerksam.

    Dämmerung fiel ein, sie senkte sich auf das Haus, und Sowtschick spielte fort und fort.

    Als erste stand das Löwenheckerchen auf und reckte sich, zehn Uhr schlug es von drüben. Sodann erhob sich von Dornhagen mit seinen wollüstigen Haaren, den Kopf ein wenig geneigt. Beide gingen hinaus auf die Terrasse, wie in einem Stück von Tschechow, und besichtigten die aufziehende Nacht, die ihnen mehr und mehr Sterne bescherte und jetzt sogar eine Sternschnuppe und da! noch eine. Das über das Firmament ziehende Licht – war’s ein Flugzeug oder gar ein Satellit? Wie schade, daß Sowtschicks Wiese kein See war, sonst hätte sich all das noch verdoppelt. Sie lauschten dem heiter-nachdenklichen Schubert, den Sowtschick da drinnen einsam-tapfer produzierte. Nun gab er einen traurigen Chopin dazu, der die Mädchen dazu brachte, tief aufzuseufzen.

    Inzwischen waren die Hunde unruhig geworden, Percy mit seiner grauen Schnauze stieß Petra an: Nun war es genug mit dem Kraulen, nun los! Nun spazierengehen! Die Nichten verschwanden also, von den Hunden umsprungen, und Sowtschick blieb zurück mit Adelheid, die sich hinter ihn stellte und beim Umblättern half, wobei sie sich sehr geschickt anstellte. Während sie das tat, hatte sie noch Zeit, sich im Fenster zu besehen, schwarz die Nacht da draußen, das feingestreifte Seidenkleid und das offene Haar, mit Spangen gehalten, und neben sich den Träger des Hebbel-Preises, dessen Bücher von den Lesern angenommen wurden.

    Sowtschick, der von Vollständigkeitsstreben erfüllt war, also gern alles spielte, was er irgend konnte, sagte: «Bitte!» wenn’s mit dem Umblättern Zeit wurde. Kein Rubinstein hörte ihm an diesem Abend zu, und auch die Klavierlehrerin nicht, ein warmer Körper stand neben ihm, Puls achtzig, Blutdruck hundert, dessen Rundungen vom Crêpe de Chine egalisiert und dessen Seele durch die mit dem Trommelfell aufgenommenen und über die Gehörknöchelchen ins

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