Hundstage
Wind hatte gedreht, aber er drehte nochmals. Den Kriminalisten war es nämlich gelungen, die Barackenpenner der Firma Senneschalk zu fassen, zwei nichtseßhafte, in der ganzen Börde bekannte ältere Männer, Hans und Franz genannt, die gelegentlich wohl mal was mitgehen hießen, als potentielle Mörder jedoch kaum in Betracht kamen. Außerdem war ihr Alibi hieb-und stichfest. Und das Alibi von Sowtschick war es eben nicht, denn Herr Kindermann, der Buchhändler, hatte bei seiner Vernehmung zähnefletschend von mittags und Carola Schade hatte von nachmittags gesprochen: «Mit Sicherheit nachmittags» sei Sowtschick bei ihr gewesen. Für den Vormittag konnte Sowtschick nicht das geringste nachweisen.
«Wir glauben Ihnen ja, aber wir müssen es wissen.»
Sowtschick wurde also nach Kreuzthal geladen, und zwar zu acht Uhr dreißig. Seine Personalien wurden dort aufgenommen von einer Polizistin, die sich seinen Namen buchstabieren ließ und ihn fragte, ob er sich einen Bart stehenlassen will. Dann hieß es: «Nehmen Sie bitte Platz», und er mußte in einem Durchgangszimmer warten. Die Polizeiuniform ist ja ganz kleidsam, und wenn sie von einer jungen Frau getragen wird, erst recht. «Kaum einen Finger breit», an die Verfilmung mußte Sowtschick denken, an Sonja Schönboom, wie sie den Widerstandskämpfer verhört. Bei den Dreharbeiten hatte sie sich dauernd entschuldigt, daß sie den da so anschreien und prügeln muß.
Lange war es her, daß Sowtschick mal hatte warten müssen, bei Dr. Schmauser, in dessen gebremstem Praxisbetrieb wurde er gewöhnlich hintenrum reingelassen, und auf den Flughäfen konnte er es sich als VIP in der Lounge bequem machen, wo man umsonst mit Honolulu telefonieren darf und von Stewardessen umsorgt wird, die die Fluggäste behandeln, als seien sie schwerkranke Kinder. Warten, das schmeckt … Er mußte an all die verlorenen Lebenstage denken, als Kind die Spaziergänge mit den Eltern am Bahndamm entlang – «Alexander!» Der Vater im Cheviotmantel geräuschvoll gute Luft einatmend, die Mutter mit Feder am Hut, ich seh, ich seh, was du nicht siehst. An die Langeweile der Soldatenzeit dachte er, die Hälfte seines Lebens wartet der Soldat vergebens, das Herumgesitze auf Bahnhöfen, Fliegeralarm, Siebzehnundvier und später auf den Lesereisen die endlosen Nachmittage in fremden Städten, im Café sitzen und in der Tasse rühren, im Hotelzimmer kein Fernsehapparat und nirgendwo eine Enddreißigerin in Sicht, der man den Mann von Welt vorspielen kann. Damals Carola, in Würzburg, im Air-France-Büro, die Sache hatte sich gut angelassen und war dann so wahnsinnig baden gegangen… Out. Alles out.
Und nun saß er hier in einem Polizeibüro und mußte warten. Weggehen wär nicht gegangen. Gerade keimte Unmut in ihm auf, da surrte das Telefon. Die schnuckelige Polizistin zeigte ihm den Weg in das Vernehmungszimmer, in dem er wiederum «Platz nehmen» durfte, zwei leere Schreibtische, an der Wand eine Uhr und eine Landkarte des Kreises Kreuzthal mit signalroten Markierungen.
Ein blasser Beamter, der Steguweit hieß, kam herein, blaßgrauer Anzug mit blaßlila Krawatte, schütteres Haar, vermutlich magenkrank. Er drehte den blechernen Verstellkalender der Firma Senneschalk an einem Schräubchen auf Mittwoch, den 29. Juli, und begann ein wohlwollendes Gespräch mit Sowtschick, wobei er seine gelben Vorderzähne kaninchenartig entblößte. Das sei also der berühmte Herr Sowtschick, sagte er und spielte Windmühle mit seinen Daumen. Ob er bequem sitzt? Ob er raucht?
«Soll ich uns einen Kaffee bringen lassen?»
Wie fühle man sich denn so als Bestsellerautor? Werde man erkannt auf der Straße? – Er habe damals den Film «Kaum einen Finger breit» gesehen mit der Schönboom in der Hauptrolle. Die Nichte seiner Schwägerin habe in der Statisterie mitgewirkt, die wär ganz begeistert gewesen. Und dann beschrieb er dem verwunderten Sowtschick, was alles dazugehört, wenn man einen Film macht. Er selber sei jetzt von Sechsfach-Zoom, 395 000 Punkt Auflösungsvermögen und einer Lichtstärke von 1:1,2, Super 8 auf Video umgestiegen. Letztes Jahr in Dubrovnik habe er sogar Nachtaufnahmen gemacht!
Sowtschick fragte sich, warum er sich nicht doch mit seiner Frau zusammen ins Auto gesetzt hatte, als es noch Zeit war, ins ferne Frankreich zu fahren. Isle de Camps, dann hätte er sich die Belehrungen dieses blassen Herrn hier nicht anzuhören brauchen. Doch da stellte Herr Steguweit seine
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