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Hundstage

Hundstage

Titel: Hundstage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Bildausschnittbewegung mit Daumen und Zeigefinger: Ob sie nicht mal ’ne Rolle übernehmen will?

    Die beiden Herren bauten, an Eiswasser nippend, Luftschlösser aus Sowtschicks Unglück; enorme Zahlen schwirrten durch den Raum. Hoenisch überlegte gerade, wie er sein Team, das inzwischen Markstücke an die Wand im Studio rollen ließ, schon mal einsetzen könnte, ausleuchten das ganze Haus und die Mädchen sich vornehmen, einzeln und in Gruppen, Aufnahmen, die man als Zwischenschnitte würde verwenden können, als Beweisstücke für Sowtschicks Unmoral. Oder: Im Dorf Umfragen veranstalten … Schlau, diese Pergamentschirme auf den Kakteen? Was? … In dem Moment ließ Dr. Gildemeister den Flipper fahren und sagte: «Mir fällt noch was ein …», und er ging hinüber ins Studio, von Hoenisch gefolgt.

    Die Feuerwehr! Sowtschick hatte von zwei Feuerwehrleuten gesprochen, die auf der Mauer gesessen und Brandwache gehalten hatten. Das fiel ihm plötzlich ein. «Brandwache» stand in seinem Notizbuch. Vielleicht hatten die ja zufällig auf die Uhr geguckt, als Sowtschick in Richtung Autobahn an ihnen vorbeifuhr?

    Er rief den Feuerwehrhauptmann an, ob er ihm die Namen der beiden Männer nennen könnte, die am Soundsovielten Brandwache in Sassenholz gehalten hätten?

    «Männer?» sagte der Beamte. «Sie meinen wohl ‹Mann›.» Brandwache halte nur einer, und das sei bis neun Uhr Ehlers gewesen, und ab neun Paetow.

    «Mein Mandant sagt aber, er habe zwei Männern zugewunken, die hätten auf der Mauer gesessen und Zigaretten geraucht.»

    «Unmöglich – oder … », und nun wurde der Mann eifrig, «oder dat möt just Klock neegen weh’n sin … Bi de Aflösung. »

    «Was?» fragte Dr. Gildemeister, weil Hoenisch seine nach After Shave riechende Wange an die Hörmuschel zu drängen versuchte und weil er das Platt nicht verstand.

    Das müsse bei der Ablösung gewesen sein, neun Uhr, als Willi Ehlers von Heinzi Paetow abgelöst worden sei, wiederholte der brave Mann auf hochdeutsch, alle zwei Stunden werde die Brandwache abgelöst – neun, elf, dreizehn Uhr und so weiter, und das war dann die Rettung für Sowtschick.

    Während Hoenisch zurücksank und die Mädchen angelaufen kamen und sich neben den sie herbeiwinkenden Anwalt stellten, wurde wie rasend telefoniert, und schließlich kam es heraus, jawohl, Paetow hatte um Punkt neun Uhr seinen Kameraden abgelöst, um «Neegen» also, nachzulesen im Wachbuch, und da hätten die beiden noch einen Klönschnack veranstaltet auf Zigarettenlänge. Die beiden hatten also Schlag neun auf der Mauer gesessen und Zigaretten geraucht, und sie hatten Sowtschicks Auto gesehen, in Richtung Autobahn rollend. Ganz genau. «Mag fünf nach neun gewesen sein», sagte Paetow, und Willy Ehlers, der ein ordentlicher Mann war, bestätigte das: «Sowtschick hat uns ja noch zugewinkt.»

    Die Mädchen klatschten in die Hände vor Freude. Ewald Hoenisch dagegen rief: «Aus! Alles aus! Abbau! Schluß!» Es war Sense, alles weitere pure Zeitverschwendung. «Aus!» Er winkte den Fotografen durch das Fenster zu: «Aus! Alles aus!» Den Mofa-Jünglingen, die gerade von sexuellen Orgien erzählten, die vermutlich in den nichteinzusehenden Stellen des Gartens stattgefunden hatten, wurde es auch mitgeteilt: Das Alibi stand, daran war nicht zu rütteln, und obwohl daran nicht zu rütteln war, machte sich die Dorfjugend mit dem dumpfen Gefühl davon, daß es hier wieder einmal einem großen Herrn gelungen sei, sich aus der Schlinge zu ziehen. Und ihnen kürzte man die Arbeitslosenunterstützung!

    Anita Läuffer, die «Skript-Frau», mußte erst noch gesucht werden, die war damit beschäftigt, den Kies vor dem Haus nach köstlichen Steinen abzusuchen. Wie ein Huhn pickte sie Sowtschicks Idar-Oberstein-Souvenirs auf, und was sie fand, tat sie schnell in die Hosentasche: Hoffentlich hat’s keiner gesehen.

    Das weitere ging dann schnell. Kommissar Wagner, der sich den kleinen Ventilator gegriffen hatte und wie einen Elektrorasierer um seine Wangen kreisen ließ, sagte gerade zu Sowtschick, er solle doch vernünftig sein, er müsse doch einsehen, daß das keinen Zweck hat, hier Schutzbehauptungen vom Stapel zu lassen, eine nach der anderen. Ob er nicht mal Nägel mit Köpfen machen will und einfach zugeben, daß er dieses bockbeinige halb bescheuerte Kind ein wenig geschubst hat, wobei es versehentlich in den Graben gerutscht sei und vor Schreck – das kalte Wasser! – einen Herzschlag bekommen hat,

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