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Hundstage

Hundstage

Titel: Hundstage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Ordnung ist, und die Sache mit dem Handbuch der Ikonographie, Gott, das Theater! Den Imperfekt benutzten sie, und das hörte sich an, als sei Alexander schon viele Jahre tot.

    «Ist er euch … Ihr müßt das richtig verstehen … Ist er euch mal irgendwie zu nahe getreten?«

    Zu nahe getreten? Wie er das denn meine. Lustig sei er gewesen, cool, aber sonst? Das sagten die Mädchen, und jedes dachte an ein bestimmtes herzerwärmendes kleines Vorkommnis, jedes für sich allein.

    Daß Petra und Rebecca aus Heidelberg kamen, gab ebenfalls Gesprächsstoff ab. Die Sache mit der Negev-Wüste, daß Rebecca da dauernd die Lastwagen umgeleitet hat, erzählten die Mädchen und kicherten ein wenig dabei.

    Das müßten sie aber nicht tun, darüber lachen, sagte Dr. Gildemeister. Die Juden hätten ja unglaublich was mitgemacht, in der Schule höre man darüber wohl nichts mehr, was? Aber die Palästinenser auch. Die hätten auch was mitgemacht! Und er sah Rebecca ernst an. Ob sie wisse, wieviel Leid die Juden über die Palästinenser gebracht haben?

    Nun weitersuchen. Dr. Gildemeister nahm die Notizen vor, die er sich im Parkhotel gemacht hatte, bei Zanderfilet in Mandelsauce. Die Schlosser mußten telefonisch ausgefragt werden, die hatten ihre Werkbank bereits abgeräumt, weil sie fertig waren mit ihrer Arbeit. Sie müßten doch noch wissen, wann Sowtschick das Haus verlassen hat: «Nein», sagten sie, das merken sie sich nicht, wenn da so eine Sau an ihnen vorüberfährt. Auch die Nachbarn in Sassenholz hatten nichts gesehen und nichts gehört. Die erzählten alles mögliche am Telefon, aber nichts über die Uhrzeit. «Der Krug geht so lange zu Wasser, bis er bricht», das war der Tenor aller Aussagen.

    Der Student im Porno-Shop war nicht zu erreichen. Aber die alte Verkäuferin im «Kinderparadies» war sofort am Apparat, und die sagte: Ja! Natürlich erinnere sie sich an Herrn Sowtschick, der habe doch die ganzen Schlachtschiffe gekauft … Um Punkt acht Uhr dreißig habe er den Laden betreten, direkt nach dem Aufschließen der Tür. Ein wahnsinnig netter Mann, der sich lange mit ihr unterhalten habe, amüsant und gebildet. Ihre Nichte habe ihre Examensarbeit über ihn geschrieben …

    Acht Uhr dreißig? Mit so einer gutwilligen Aussage war auch nichts anzufangen.

    Dr. Gildemeister setzte sich ans Klavier und klimperte ein wenig die Noten ab, die da standen. Prokofjew? Das war ja ziemlich haarig! Im Regal lag ein Volksliederbuch, das war schon eher was. «Die Blümelein, sie schlafen…» Oder dies hier: «Im schönsten Wiesengrunde». Gildemeister ließ das Pedal liegen, während er spielte, und freute sich, daß er dem Instrument sinnvolle Töne entlocken konnte, und er dachte auch ein wenig an die Mädchen, wie die sich wohl wunderten, daß er nicht nur Terroristen verteidigt und Mörder aus dem Schlamassel holt, sondern auch Klavier spielen kann.

    Die Mädchen kamen mit Kaffee, und dann saß er als «Hahn im Korbe» zwischen den vieren, und er dachte: Wie verschieden hat der liebe Gott die Menschen geschaffen. Er verglich die beiden blonden Schwestern miteinander, die eine kräftig, die andere zart, und die beiden «Kleinen», dies entzückende dunkle Kind mit dem tiefblauen Silberblick … und das andere mit dem struven Haar und den Pickeln im Gesicht … Ehrlich gesagt, die war die reizvollste, die hatte «Sex-Appeal», wie man früher sagte. Er komme ab und zu nach Heidelberg, sagte er, da müßten sie (Plural!) sich mal in einem Café treffen: «Und dann machen wir ’ne Spritztour», und er sah sich am Waldrand liegen, mit den beiden Schwestern links und rechts. Rebecca würde zu anstrengend sein, esoterisch überkandidelt in jeder Hinsicht. Mit der anderen hingegen würde man bald zur Sache kommen, oder? Die in ihrer Pickeligkeit müßte doch dankbar sein, daß man sich ihrer annimmt ? Die Existenz eines Vaterkomplexes ist ja für ältere Herren ein Segen.

    Während Sowtschick in Kreuzthal inzwischen sogar von drei Beamten vernommen wurde und immer noch rätselte, wieso er Sassenholz auf der Kreiskarte nicht finden kann, erzählte Gildemeister den sich lagernden Mädchen einige Fälle aus seiner Praxis, die auch alle ganz verzwickt gewesen waren, und die er mit Hilfe von Intuition doch noch habe aufklären können. Terroristen-Sachen, zum Beispiel, ein erschossener Polizist. Daß der wahrscheinlich von den eigenen Leuten umgeballert worden war … Und dann beschrieb er ein Treffen in einer konspirativen

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