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Hundstage

Hundstage

Titel: Hundstage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Wohnung, wo er gedacht hatte, hier kommst du nie wieder lebend raus. Alles prima, ganz normale Kerle, aber natürlich wahnsinnig verrückt, absolut irre, so wie wir alle, wir seien ja auch alle irgendwie verrückt. Ob sie auch schon mal demonstriert hätten gegen diese beknackte Regierung? Nein? Na, denn müßten sie sich nicht wundern, eines Tages, sie würden dann schon sehen, was dann eines Tages … Sie sollten dann an seine Worte denken.

    Die Mädchen reagierten anders darauf, als er erwartet hatte. Terroristen, das seien doch Verbrecher, sagten sie, was gäb’s denn da groß zu verteidigen? Zack, Rübe ab!

    Was denn ihr Vater von Beruf sei? fragte Gildemeister.

    «Ingenieur!»

    «Na, dann wundere ich mich über gar nichts.»

    D och, nun weitersuchen, oi, joi, joi! Das ging ja schon auf sechs! Als sich Gildemeister eben anschickte, Sowtschicks Aussagen nochmals der Reihe nach durchzugehen, erschien draußen vor dem Fenster ein bekanntes Gesicht. Die Mädchen kamen jubelnd herbeigeeilt, happy go lucky! Es war der Fernsehmann Ewald Hoenisch. Der hatte sich an den Journalisten vorbeigeschlichen, das Terrain geschickt ausnutzend. Ein Fenster wurde geöffnet, und er wurde hereingezogen: drei Kniebeugen machen: gerettet! – Hoenisch! Na so was! Noch drei Kniebeugen und Umarmungen, Beine ausschütteln, Genick lockern …

    «Diese Hitze! So was hat es ja noch nie gegeben!»

    Die Herren wurden einander vorgestellt. Hier der berühmte Terroristen-Anwalt, der sich ständig mit obskuren Leuten trifft in Hinterhausabsteigen und nun den armen Sowtschick rauspauken will, und da der Fernsehmensch, seit vierzehn Tagen Nichtraucher, auf dessen Konto die längste Überblendung der Fernsehgeschichte geht, der gekommen ist, weil ihn der Intendant persönlich darum gebeten hat. Er wolle exklusiv über diese makabre Sache berichten, sagte Hoenisch, natürlich nur, wenn Sowtschick tatsächlich das arme Mädchen in den Graben gestoßen hat, also wenn er schuldig ist. Sei damit zu rechnen, daß Sowtschick überführt wird? Oder sei damit nicht zu rechnen? Und ob Sowtschick nach einem eventuellen Geständnis noch mal nach Sassenholz zurückkommt, Sachen holen? «Oder wird er gleich abserviert?» Nach seinen Informationen sei er noch nicht ins Bezirksgefängnis übergeführt worden.

    Nun, Gildemeister mochte den drahtigen Herrn nicht sofort enttäuschen, bisher sehe es black aus, sagte er, das Alibi stehe nicht. Aber im Prinzip, Sowtschick ein Mädchenmörder?

    «Wir müssen mal in Ruhe darüber reden», sagte Hoenisch und zog seine Leute einzeln durchs Fenster herein, den Kameramann mit farbigem Assistenten, Beleuchter, Ton, eine Unmenge Leute, alle auf sehr spezielle Weise gekleidet, die sich mit ihren Apparaten sofort ins Haus ergossen und Möbel hin und her rückten: So sehe es doch viel besser aus … Nur Anita Läuffer blieb draußen, das war in ihrem Einstellungsvertrag nicht vereinbart worden, daß sie hier durchs Fenster einsteigen muß. Ein zweites Team, das schon seit Stunden wartete und sich damit beschäftigte, Mofa-Jünglinge zu interviewen, ob Sowtschick wirklich so eine vergreiste Sau ist? Ja, das isser … Dieses andere Team versuchte hinterherzuklettern, das wurde aber, wie bei der Belagerung von Malepartus, zurückgestoßen.

    Hoenisch setzte sich mit dem Anwalt in den Rest-Room, der als einziges Zimmer im Haus keine Fenster hatte, von der Straße aus also nicht eingesehen werden konnte. Er setzte sich auf das Strampelrad und zählte im Rhythmus seines Tretens dem Anwalt alle Verdachtsmomente her, wie er sie sich per Zeitschriftenausschnittsdienst zusammengeleimt hatte. Und dann listete er die Vorteile auf, die ein exklusiver Vertrag für «unsern Klienten» habe, schließlich koste ein Prozeß ja einiges, und er, Hoenisch, könne seine Rechte mit denen des «Boulevard» kombinieren.

    «Sie meinen also», sagte Gildemeister und setzte den kostbaren Flipper in Gang, dies Museumsstück, das Sowtschick für teures Geld erstanden hatte, in dem das Wort RISIKO aufleuchtete, «daß wir uns verbünden sollten?»

    Die Mädchen brachten Drinks.

    «Was seid ihr denn für welche?» fragte Hoenisch die Heidelberger Mädchen, «euch hab ich ja noch gar nicht gesehen …»

    Daß das eine Jüdin aus der Negev-Wüste sei, wurde ihm erzählt, und allmählich glaubte Laura das selber (sie hatte schon mal die Bibliothek durchgemustert nach Büchern über Israel, daß die Fahne blau-weiß ist, hatte sie bereits mitgekriegt).

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