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Hundstage

Hundstage

Titel: Hundstage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Vorstellung war beendet, Sowtschick klatschte Beifall, die Hunde verschwanden unter dem Tisch, und die Mädchen setzten sich schwer atmend nieder. Auch Adelheid erschien, und Sowtschick drohte ihr mit dem Finger: «Du bist ein böses Mädchen», sagte er, angelte sich ihre Hand und küßte sie: «… kannst Klavier spielen und sagst es nicht. Ein sehr böses Mädchen bist du …»

    Technisch hatte sie besser gespielt, als er es je vermocht hätte, aber mit der Sensibilität, so schien es, haperte es doch erheblich.

    Das Gespräch kam in Gang, alle Mädchen redeten gleichzeitig. Während Bowle eingeschenkt und nach Häppchen gegriffen wurde, sagte Adelheid, was sie für Lampenfieber gehabt hätte, und Gabi war beinah über ihr Gewand gestolpert.

    Sodann war Thema eins zu erledigen: Rita, die ein Pflaster auf der linken Wange trug, erzählte wieder und wieder das Erlebnis ihres Lebens: Den Schulmeister machte sie nach, wie er sie in den Graben hatte stoßen wollen und dabei die Augen verdrehte und schnaufte.

    «Und gespuckt hat er und geschimpft!»

    Und wie schlau es von ihr gewesen war, das Fahrrad zwischen sich und den Rasenden zu halten, so sei er gar nicht recht an sie herangekommen.

    Es wurde Bowle getrunken – Sowtschick hoffte nicht, daß womöglich sein guter Loire-Wein dazu hatte herhalten müssen – , und Sabine erzählte, wie schnell sie geritten war und wie hart sie auf Fango hatte einschlagen müssen. Es sei fast so gewesen, als hätte das Tier begriffen, daß es um Leben und Tod geht.

    Das Löwenheckerchen berichtete von Hamburg, wie unheimlich gut sie mit Engelbert (sie nannte ihn beim Vornamen) gegessen habe, am Hafen, in einem zum Edel-Freß-Schuppen umgebauten ehemaligen Speicher, und als Adelheid zu ihr «Gabi» sagte, bat sie darum, in Zukunft nur noch «Gabriela» gerufen zu werden.

    Die Nichten hatten auch schon mal irgendwo wundervoll gegessen. Sie erzählten von ihren Eltern, von Eckart und Luise, und sie verstanden überhaupt nicht, wieso Alexander bei der weitverzweigten Familie als überkandidelt galt.

    Es wurde lebhaft. Die pausbäckige Petra machte die Geschichte vom «Nikolausi» nach und deklamierte Werner-Comics.

    «Werner, ich sach’ noch, fahr’ nich bei diesen Wedder …»

    Das rote Beatles-Album wurde gehört:

    Yesterday –
All my troubles seemed so far away …

    Romantik stellte sich ein, Hand-und Fußkontakte wurden wiederhergestellt, es wurde still und stiller, und der Himmel wurde schwarz und schwärzer. Der ungeheuerliche Sternenhimmel zog auf. Direkt über der Laube stand die Venus. Daß Gabriela von den Tiefen des Weltalls sprach, diamanten oder erdig, wie man’s nimmt, und daß der Große Bär andererseits von den Mädchen als «Ölkanne» bezeichnet wurde, störte kaum. Die ostereierfarbenen Lampions leuchteten, fetter Geruch von Phlox lag über der Runde – selig, wer sich vor der Welt ohne Haß verschließt: Der rechte Augenblick war gekommen für eine Darbietung des Hausherrn.

    Gabriela, die grade überlegte, ob sie nicht ein paar Gedichte aus eigener Werkstatt vortragen sollte, wurde ins Studio geschickt, die «Winterreise» zu holen, alle setzten sich zurecht. In der Ferne ein Mähdrescher, zwei, drei Mofas – Sowtschick öffnete das Manuskript.

    Die Sache sei die, sagte er und nahm einen Schluck Bowle, daß er in seinem Roman einen Schriftsteller schildere, der sich mitten im Winter einen Sommerroman ausdenkt, und dieser Sommerroman handele von einer Frau, die – und das finde er ebenso wahnsinnig komisch – in brütender Hitze ein Gedicht schreibt, das den Titel «Frost» trägt.

    Die Winternebel knistern in Kristallen,
die sich an Draht und Ästen spießen,
die Kälte läßt die Tropfen hallen
in Nächten, die sich nie erschließen …

    Gerade hatte Sowtschick sich eingelesen, der laue Nachtwind warf die Manuskriptseiten auf, da erhoben sich die Hunde ruckartig, sie stellten Schweif und Ohren in die Höhe und liefen laut bellend nach vorn: Anscheinend war jemand am Tor.

    Adelheid ging öffnen. Sie kehrte mit einem schwarzhaarigen Jüngling zurück, dem das Löwenheckerchen – erdfarbene Ewigkeit hin, samendes All her – in die Arme flog. Es war ihr böser Freund Ralli! Nach Frankreich zu trampen, ohne sie! Jetzt war er zurückgekehrt nach Deutschland, müde und abgeschlafft, aus Anödungsgründen, wie er sagte, in Wirklichkeit jedoch, weil er sich nach seiner Freundin, die er Gab’l nannte, sehnte.

    «Was ist denn hier los», sagte er

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