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Hundstage

Hundstage

Titel: Hundstage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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eine Rolle, Friedemann Bach, eine Ufa-Sache. Ihn fröstelte, und Tränen stiegen in ihm auf: Ich bin einsam, dachte er, einsam und allein.

    Während Rebecca der Geige inbrünstige Töne entzwang und dabei auf den Steg ihres Instrumentes guckte, als ob sie sich wundert, was da für Töne herauskommen: Sind die von mir? hielt Sowtschick mit allen Mädchen speziellen Kontakt: Die Schwestern Adelheid und Gabriele links und rechts hatten ihm die Hand gereicht. Mit den Füßen berührte er die funkensprühende Petra. Den Pferdemädchen zwinkerte er zu, und Rebecca lauschte er, wie Saul David gelauscht hatte. Sultan wider Willen, dachte er und sah sich in der Runde um: Ich bin der Sultan wider Willen. Er sah sein Anwesen als einen heiligen Hain, in dem die Mädchen für immer in Glückseligkeit umherlaufen würden. Sich selbst sah er als gütigen Patriarchen, eine Schale mit reinem Quellwasser zum Munde führend. Eine Religion müßte man stiften, dachte er. Aber was für eine?

    Sechs Mädchen waren bei Sowtschick, und doch fehlte eines. Sosehr sie auch immer gestört hatte, die kleine Erika, wie oft sie auch weggejagt worden war, der kleine flatternde Bläuling – nun fehlte sie doch. Wie schön war es immer gewesen, wenn er Schubkarre mit ihr gespielt hatte … Wie erregend, sie zu würgen! Die letzte Balgerei unter dem Kirschbaum – er fühlte noch ihren klebrigen Fuß … Mit diesen Späßen war es nun vorbei. Im Mausoleum, auf einer der bronzenen Relieftafeln würde man irgendwo diesen kleinen Kobold unterbringen müssen, der nun als Seelchen wie ein Spinnenfaden vom Nachtwind dahergetrieben wurde.

    Sowtschick, der den goldenen Anker wieder um den Hals trug, ließ die Hände der Schwestern los und löste den Fußkontakt zu Petra, der doch ein wenig zu gaspedalig geworden war. Er nahm einen Schluck Bowle: Dies tu ich für euch alle … Dem Polizisten Wagner würde er es schon noch zeigen, dessen Frau würde auf weitere Signaturen warten können, bis sie schwarz wird.

    Auch Herr Ballon würde warten können. Der hatte, nachdem alles vorbei war, eine Betrachtung in der «Kreuzthaler Börde-Zeitung» veröffentlicht unter der Überschrift: «Übermut tut selten gut». Daß man sich Prüfungen als Lehre dienen lassen soll, hatte darin gestanden.

    Inzwischen war Rebecca zum Ende gekommen. Sie kam über das Gras herbeigeschritten und ließ sich von Sowtschick die Fingerspitzen küssen.

    Das Programm nahm seinen Fortgang. Adelheid ging ins Haus, und gleich darauf ertönte von drinnen das zauberhafteste Klavierspiel, Mendelssohn, der «Sommernachtstraum» – sie konnte also spielen, die böse Adelheid, und er, Sowtschick, hatte das nicht geahnt! Hatte renommiert als Virtuose vor diesem Mädchen, das, wie er jetzt hörte, ziemlich gut war. Die Mädchen schritten auf den Rasen und spielten, sich der Musik anpassend, unter den Lampions, von Wachsfackeln erleuchtet, die Titania-Szene des «Sommernachtstraums» mit viel Gewänderschwenken und Schreiten.

    Gefällig seid und dienstbar diesem Herrn,
Hüpft, wo er geht, und gaukelt um ihn her …

    Gabriele war die Titania, sie las den Text ab, was dem Ganzen etwas Heiter-Improvisiertes verlieh. Sie ließ sich dabei chorisch von den Pferdemädchen und den beiden Nichten umschreiten: Das schönere Paar waren die Pferdemädchen, deren spielerische Ausdrucksmöglichkeiten schienen unerschöpflich zu sein.

    Die Hunde mißverstanden das Gewänderschwenken und mischten sich unter den Reigen.

    Sucht Aprikos’ ihm auf und Stachelbeer’,
Maulbeeren gebt ihm, Feigen, Purpurtrauben …

    Sowtschick, als Zettel, der Weber, hätte den Reigen gern mit seiner Videokamera aufgenommen, das Schöne dieser Welt hab ich genossen, es festhalten für immer und ewig. In den letzten Stunden des Lebens könnte man, wie Hughes der Milliardär, in seinem Hotelzimmer, von wenigen Getreuen umsorgt, den Film dann vor sich abflimmern lassen. Wie die Madonna am Giebel des «Fron-Hus» noch einmal kurz sichtbar geworden war, bevor alles in sich zusammenfiel, so kam ihm diese schöne, lauwarme Abendstunde jetzt vor.

    Out! Out!
Alles vorbei …

    Er schob sich Lachshappen in den Mund und hartgekochtes Ei. Der Lachs hatte schon ein wenig zu lange im Kühlschrank gelegen, der war klebrig, das Ei hingegen war in Ordnung, wie alle Eier es gewesen waren, die er hier in den letzten Wochen hatte essen müssen, in gekochtem, gebratenem und gebackenem Zustand.

    Nun Elfen, huldigt ihm, und neigt euch fein.

    Die

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