Hundstage
und horchte. Es war ihm, als ob unten irgendwo eine Tür ging. Im Ankleidespiegel konnte er sich selbst sehen, wie er da an der Zellentür stand und horchte, am Pyjama fehlte ein Knopf. Neugier und Bitterkeit mischten sich: In Sekunden hatten ihn die Mädchen entthront, sie hatten ihn sitzenlassen, und er hatte sich fortgeschlichen, er, der Autor des Buches «Hetzjagd in Andante»! Ob sie jetzt seinen Kaffee tranken, sein Brot aßen, seinen Honig? Seine Stühle nutzten sie ab, und die Abwasserrohre verstopften sie mit ihren hygienischen Geheimnissen. Daß sich innerhalb einer Mädchengruppe diese Angelegenheiten einander angleichen, daß bei allen der Körperrhythmus derselbe wird, hatte er mal gelesen, und gern hätte er gewußt, ob sie ihre Minis aus der Haushaltskasse bezahlten. Wie gut, daß er dem Portemonnaie gestern noch fünfzig Mark entnommen hatte, so würden sie kommen müssen und ihn um Geld bitten für die Steaks, die sie dem Jüngling gewiß brieten. Die nächste Telefonrechnung, das schwor er sich in diesem Augenblick, würde er sich sehr genau ansehen, und dann würde er sie ihnen unter die Nase halten: Ob sie ihm mal bitte erklären könnten, wieso er auf einmal siebenhundert Mark zahlen muß?
Nun ging unten ein Glöckchen im Büchergang, und kurz darauf wurde die Glocke in der Halle gerührt. Aha, es kam jemand die Treppe herauf. Sowtschick schob den Gucklochdeckel der Zellentür zur Seite, und nun konnte er sehen, daß Petra vor der Tür stand und in der Nase bohrte. Sie klopfte zunächst zaghaft, dann bestimmter.
Ja, klopf du man, dachte Sowtschick, «Pankraz der Schmoller», und tat nichts dergleichen. Wenn er sich jetzt nicht meldete, jetzt nicht und nachher nicht, nie, dann dachten sie gewiß: Er hat einen Herzinfarkt!
Er bedauerte es, daß die Türriegel innen saßen, er hätte sich gern vorgestellt, daß die Mädchen ihn gefangenhielten: die Durchsuchung der Zelle, ob er Waffen versteckt hat, an der Wand muß er stehen, die Hände über dem Kopf.
Petra wandte sich zum Gehen. Das konnte Sowtschick nicht zugeben, sie kam ihm unschuldig vor, weil er sie noch nicht begehrt hatte. Er hustete, öffnete die Zellenklappe und sagte zu ihr: «Das ist wundervoll, mein liebes Kind, daß du kommst, mir geht es heute gar nicht gut …», und er bat sie um etwas Toast, ein Glas Milch, Butter und Leberwurst.
Kaum war sie hinuntergegangen, zog er seine Verführungshose an. Das Haar kämmte er sich mit einer nassen Bürste, und dann setzte er sich auf das Bett. Es war ja eher umgekehrt: Er hielt die Welt gefangen, mit zwei Riegeln, wahrscheinlich sehnte sie sich danach, befreit zu werden. Sowtschick hatte sie ausgesperrt aus seinem Zauberreich. Die Zelle war der Mittelpunkt der Welt! Hier saß er in seinem verwunschenen Schloß, die Zugbrücke hochgezogen, als Schöpfer aller Dinge, und herrschte über Leben und Tod, jedenfalls in seinen Büchern. Wenn er sie nicht beschreiben würde, die verrückten Sommerwochen, wenn er sie nicht nachzeichnete, die Mädchen, dann existierten sie nicht und hätten nie gelebt.
Sowtschick stand auf und zog die Bettdecke glatt, und da war sie auch schon wieder, Petra. Sie klopfte, und er zählte bis zehn und ließ sie ein. Ihr rundes Pausbackengesicht mit den pockenartigen Narben, kleine abstehende Zöpfchen, gelb-lila gestreifte Hosen von glänzendem Stoff: An sich war Sowtschick nicht für volle Formen.
«Wo sind die andern?» fragte Sowtschick und dirigierte das Tablett in sein Kabinett.
Petra ging über diese Frage hinweg. Alle fänden es unglaublich bescheuert, babbelte sie in ihrer Heidelberger Aussprache, daß er sich hier so einschließt, und kein Mensch weiß, warum er das tut. Ralli habe sich schon nach ihm erkundigt, und sie wüßten gar nicht, was sie dem sagen sollten … Die andern trauten sich kaum an seiner Tür vorüber.
«Was? Sie trauen sich nicht an meiner Tür vorüber? Wieso denn nicht?» fragte Sowtschick, und ihn freute es, daß sie Angst vor ihm hatten.
Während er sein Brot mit Leberwurst bestrich, fragte er immer wieder und eindringlich, wieso man denn vor ihm, ausgerechnet vor ihm, Angst hätte! Er sei doch bei Gott der harmloseste Mensch, den man sich denken könne… Und gleichzeitig dachte er an Iwan den Schrecklichen, wie herrlich es immer gewesen war, die Mädchen durch das Haus zu jagen. Und dann hielt er Petra, die sich ins Fenster gesetzt hatte, einen kleinen Vortrag über Stimmungen und Launen. Er wundere sich darüber,
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