Hundstage
Sassenholz kennengelernt habe, das Haus in einer Art Verteidigungszustand, meine er fast, Sowtschick habe mit «Kosel» ein Selbstbildnis liefern wollen. Daß er einsam sei, trotz allen Aufwands, daß er sich von der Welt ausgestoßen fühle.
Dies gab Sowtschick einen Stich. Rasch ging er darüber hinweg. Nicht daran rühren! dachte er. Er sagte, daß er das Buch noch heute gern in die Hand nehme im Gegensatz zu andern Büchern, die er auf die Menschheit losgelassen habe, und er führte Beispiele an, für eine abgeschlossene Gesellschaft, Gefangenschaft zum Beispiel, einsame Inseln oder Polarforschungen, wenn die da monatelang im Packeis hocken. Oder: Wenn der Lift steckenbleibt. Zuerst sagen die Leute einander kaum guten Tag, und dann kommt es zu menschlichen Regungen, die man nicht für möglich gehalten hat. Unscheinbare Existenzen, die nach nichts aussehen, werden zu Helden; Selbstlosigkeit stellt sich ein, aber auch Egoismus. Nicht umsonst gebe es haufenweise Filme über steckengebliebene Fahrstühle.
Er habe gehört, sagte Ralli, daß Sowtschick ebenfalls in Gefangenschaft gewesen sei, darüber würde er sich gern mal unterhalten mit ihm. Das müsse doch furchtbar sein! Gefangenschaft! Stacheldraht!
«Sind die Russen wirklich so brutal?» Er sei mal nach einer Demonstration zwei Stunden von der Polizei festgehalten worden, das habe ihm schon gereicht!
«Was meinst du, was Menschen aushalten können», sagte Sowtschick, aber obwohl die Russen sich wirklich viehisch benommen hatten, milderte er damals das, was er erlebt hatte, brachte allerhand Verständnisvolles vor, was ihn gut kleidete: Die Russen hätten es ja selbst nicht so besonders rosig gehabt. Was nichts zu tun hatte mit den Schikanen, die er hatte aushalten müssen. Einundzwanzig Tage bei Wasser und Brot in einem eiskalten Betonkeller?
Auch auf großen Schiffen gäb’s so was, sagte er, «Klaustrophobie», auf Kriegsschiffen zum Beispiel, in U-Booten ja sowieso, aber auch auf Flugzeugträgern und Schlachtkreuzern. Ob Ralli sich vorstellen könne, was auf solchen Riesenschiffen los ist, fast zweitausend Mann Besatzung, eng aufeinander? Einer dem anderen sein Deibel? – «Unternehmen Cerberus», dieses Buch lese er gerade: Der Durchbruch der deutschen Flotte durch den Kanal, raffiniert, mutig, aber völlig nutz-, sinn-, zweck-, und überhaupt -los.
«Nach dem Durchbruch wurden die Schiffe sowieso alle versenkt.»
Ralli sagte, daß er sich wundere über diese Riesenschiffe, hundertachtzig Meter lang und so und so breit – er habe mal einen Flugzeugträger besichtigt –, daß diese gewaltigen Dinger von einem einzigen Menschen gelenkt werden, mit zwei Fingern an einem winzigen Steuerrad. Und wie das wohl vom Grund des Meeres aus aussieht, wenn da so plötzlich die Bäuche von Flugzeugträgern dahingleiten, wie Weltraumschiffe von einer Galaxis zur anderen … Ob er den Film «Star Wars» kenne? Diese vorübergleitenden Raumschiffe? Oder die Illustrationen von Chris Foss? Auf SF-Romanen vorne drauf?
Im übrigen erinnerte er sich daran, daß er in Nantes gewesen sei, schade, Brest! Wenn er das eher gewußt hätte, die Sache mit den deutschen Schlachtschiffen, dann wär er mal nach Brest gefahren und hätte sich die Hafenanlagen angeguckt.
Die Mädchen spitzten die Ohren, sie hatten Hochgefühle, weil die beiden Männer sich so gut verstanden. Sie glühten zu den beiden hin, und die Männer gingen auf in Gemeinsamkeit, die fast innig genannt werden konnte und immer inniger wurde, obwohl die Meinungen der beiden, als es erneut um Sowtschicks Bücher ging, verkehrtrum divergierten. Der Jüngling sprach für dessen Erzeugnisse, und Sowtschick hielt dagegen.
Das Glück war perfekt, als Sowtschick die «Bagage» absetzte am Berliner Tor.
«Kinder, beeilt euch, ich kann hier nicht ewig halten!»
Die Schwestern, die sich im Auto noch rasch den Pferdeschwanz zu Zöpfen umfrisiert hatten, wurden umarmt, die Kanalschwimmerin erheblicher als das singende, springende Löwenheckerchen, aber das Löwenheckerchen auch: Sie wünschten ihm Glück für die Lesung und für die Parlamentarische Gesellschaft und all das. Der Jüngling zog aus seinem «Mantelsack» das Buch «Kosel» und einen Kugelschreiber.
Er habe das Buch in Frankreich von einer Frau geschenkt bekommen, mit der er als Anhalter ein Stück gefahren sei. Eine besondere Frau, älter schon, aber noch gut beisammen, elegant und beeindruckend. Diese Frau habe ihm das Buch zum Abschied
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