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Hundstage

Hundstage

Titel: Hundstage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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sie, im übrigen aber zogen sie, mit Kissen unter dem Arm, Sonnenbrille und Buch, in den Garten, um sich dort an windgeschützter Stelle zu sonnen.

    Das Löwenheckerchen hatte es sich in Mariannes Pavillon gemütlich gemacht, die telefonierte schon seit einer halben Stunde mit ihrem Schatz, die Füße auf dem zierlichen Rüstertisch mit den Intarsien.

    Wie gut, daß Sowtschick das alles nicht ahnte. Er hätte sich vor Wut «entäußert». Er hätte die Fenster geöffnet und ihre Seesäcke hinausgeworfen, samt Tagebüchern und Gummiteddys. Er lag auf dem Bett und merkte erst jetzt, daß er Kopfschmerzen hatte.

    Den Rest des Tages verbrachte er vor seinen Münzen, wieviel wert die sind, rechnete er aus, und in der Nacht sah er sich die «Feuerzangenbowle» an.

    … Wahr sind nur die Erinnerungen, die wir
mit uns tragen, die Träume, die wir spinnen
und die Sehnsüchte, die uns treiben. Damit
wollen wir uns bescheiden …

    Als diese Sätze gesprochen wurden, bedeckte Sowtschick seine Augen und weinte.

    D ie Nichten verließen Sassenholz am nächsten Tag als erste. Ach, was war das für ein Abschied! Nicht von ihrem Onkel, nein, von den Schwestern. Sie umhalsten einander, als hätten sie Gott weiß was durchgestanden! Dem Onkel gaben sie die Hand, ohne daß sie sich groß bedankt hätten für die Sommertage, die ihnen wahrscheinlich noch ein Leben lang vor Augen stehen würden. «Damals in dem schönen Sommer, als wir bei Onkel Alexander waren …» Es entging ihm nicht, daß sich Rebecca noch schnell aus dem Kühlschrank versorgte: ein Stück Butter, Wurst und hartgekochte Eier. Und Petra war es, die zu ihrem Onkel sagte, sie kriege noch eine Mark und fünfzig, die habe sie beim Briefträger für ihn ausgelegt. Sowtschick freute sich: Es würde Marianne aufs Brot zu streichen sein, daß in ihrer Verwandtschaft doch viel Fremdes sei.

    Als Sowtschick sie abfahren sah, nach Heidelberg, von den Hunden eine Zeitlang wild verfolgt, dachte er aber doch: Schade … Warum war er so ungeduldig und abrupt gewesen? Vielleicht hätte man sich arrangieren können und doch noch ein wenig Zuneigung abzweigen? Ralli war doch nicht alle Welt? Dahin, dahin! dachte er, als das Gezwerge davonradelte. Laura mit Geige auf dem Rücken. Recht volle Schenkel hatten sie, und kräftig traten sie in die Pedale.

    Gegen Mittag war dann allgemeiner Aufbruch. Um progressiv zu wirken, rasierte sich Sowtschick nicht. Er zog das neue Hemd an, das mit den Taschen auf den Netzärmeln, ich gehe meilenweit für eine Camel, und schob das Kapitel der «Winterreise», das er in Hamburg vortragen wollte, in eine kleine schmale Spezialaktentasche, die er sich für öffentliche Auftritte gekauft hatte.

    Hamburg! Es wäre doch gelacht, wenn es in dieser Stadt nichts «aufzureißen» gebe. Wie in Wuppertal im vorigen Jahr, die Zahnarzt-Gattin, mit der er dann noch in der Weltgeschichte herumgejuckelt war.

    Zu Mittag gab es ein trockenes Bauernfrühstück, das letzte dieser Art, das sich Sowtschick stumm in den Mund schaufelte, von wo aus es den Ösophagus hinunterrutschte und in den Ventriculus plumpste und sich nicht mehr von der Stelle rührte.

    Nach dem Essen bat er die Mädchen hinüber ins Arbeitszimmer, griff umständlich zur Geldtasche und, das hatte er sich so ausgedacht: Er teilte Hundertmarkscheine aus, mehr als abgemacht! Er wollte die beiden Abtrünnigen zu Dank zwingen, sie beschämen und irgendwie erniedrigen: Seht ihr? Ich bin gut zu euch, und ihr seid böse … Doch sie wandten sich ab. Mitten in seinem Studio stand er, an den Schreibtisch gelehnt, einen Fächer welker Hundertmarkscheine in der Hand. Er mußte an den Tag denken, an dem sie gekommen waren. Und da fiel es ihm ein: «Hallo! Hier bin ich», zu rufen, halblaut, so wie damals, als sie den Büchergang heruntergeschlichen kamen.

    «Hallo, hier bin ich!» rief er, und das brach das Eis! In einer einzigen Sekunde schossen all die schönen Stunden zusammen wie zu einem Gewölbe des Glücks. Wollüstiger Schmerz wallte auf. Wehe Laute erklangen, und rücklings fielen sie zusammen auf das Lotter-Sofa, und da lagen sie eine ganze Weile, ohne sich zu rühren. Schließlich rieb er sanft ihre Ohrläppchen und sagte: «Ich glaub, wir müssen wohl …» Er nahm den kleinen Hahn vom Schreibtisch, eine der Wiener Bronzen, und schenkte ihnen den.

    «Die Hennen bleiben hier, für immer.»

    Die Mädchen verstauten ihre Seesäcke in den Kofferraum, die Hunde wurden in den Zwinger gesperrt, und

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