Hundstage
geschenkt. Ganz nett sei sie gewesen, irgendwie traurig und unheimlich großzügig, habe ihn mitnehmen wollen in ihr Ferienhaus am Meer. Abgesahnt habe er bei der, und zwar tüchtig, das tue ihm fast leid.
Sowtschick fügte seinem Namen eine freundliche Floskel hinzu: «Mit guten Wünschen», und machte einen Punkt hinter seinem Namen, was er sonst nie tat, und blätterte ein wenig, und dabei stieß er auf Unterstreichungen. Und das waren gerade die Stellen, die ihm besonders am Herzen lagen.
Er setzte sich hinters Steuer und rief: «Auf Wiedersehen! Ciao! Macht’s gut.» Und: «Schönen Dank!» Und: «Laßt mal wieder was von euch hören!» Küßchen, Küßchen.
Er winkte aus dem Wagenfenster heraus der Jugend zu, dann fuhr er um die nächste Ecke, wie hab ich das gefühlt, was Abschied heißt, und parkte auf dem Parkplatz eines Möbelkaufhauses, aus dem junge Leute grotesk verpackte Stühle heraustrugen. «Aus, alles aus!» sagte er laut und schlug beide Fäuste auf das Lenkrad. «Der Traum dieses Sommers ist zu Ende.» Er mußte ans Fernsehen denken, an die klickernden Pappbälle des Lottozahlen-Apparats, die es nach unerforschlichen Gesetzen umeinandertreibt. Und es kam ihm so vor, als ob er nun die Altersklippen hinunterstürzte, wie Freddy in Santa Barbara, aber nicht freiwillig und wie ein kraftvoller Vogel, sondern taumelnd und mit gebrochenen Flügeln. Eine Steinwüste kam ihm in den Sinn, über die der Wind fegt: Am Ende dann, da hinten, ein einsames Grab, von Papierschnitzeln umwirbelt.
S owtschick hatte im Hotel «Vier Jahreszeiten» das hübsche Zimmer vom letzten Jahr, etwas brokaten die Einrichtung, aber im ganzen anheimelnd. Auf dem Tisch Früchte und Sekt und ein Kärtchen mit persönlich gehaltenen Grüßen der Geschäftsleitung. Und aus dem Fenster ein wundervoller Blick über die Binnenalster mit Schwänen und mit Touristen, die sich ungläubig klarmachten: Wir sind jetzt tatsächlich in Hamburg, wir latschen in den Ansichtspostkarten herum, die es hier überall zu kaufen gibt.
Sowtschick machte es sich in seinem Stübchen gemütlich, legte also die Beine hoch. Er bestellte sich eine Fleischbrühe und saftige Sandwiches, die es in dieser Qualität nur im «Vier Jahreszeiten» gab. Er ging noch einmal den Text durch, den er am Abend lesen würde, und dann machte er sich auf dem Hotelpapier Notizen für seine nächsten Romane: die «Lange Nacht», den Mädchenroman, und für seine neueste Idee, «Die Drohnin».
Das Schmarotzerdasein Carolas mal aufs Korn nehmen. Das wäre ein schönes Thema: Die Sattheit der Bürger… Wenn er sich vorher ein Schema machte, mit dessen Hilfe er die Rasanz der Handlung optimal realisieren könnte, in dem auch die Problemfelder gleichmäßig verteilt wären, so daß er keines vergäße, dann würde man einen eventuellen Verriß durch Achilles, mit dem in diesem Fall allerdings wohl kaum gerechnet werden mußte, Punkt für Punkt kontern können, Plakate drucken lassen und es überall verkünden: Dieser Kritiker hat nicht aus sachlichen, sondern aus persönlichen Gründen das Werk zerpflückt. Und der stünde dann da wie ein begossener Pudel.
Diesmal aber schön den Mund halten, nicht zu früh alles ausposaunen, Hessenberg ruhig etwas zappeln lassen … Wunderbar, wie hier die goldenen Eimer wieder mal hin und her gereicht wurden …
Gegen halb acht Uhr verließ Sowtschick das Hotel, die schmale Spezialaktentasche mit dem Manuskript unter dem Arm. Prompt hörte er seine Mutter: «Alexander!» rufen, aber er achtete nicht darauf. Wie sie wohl meinen Tod herbeisehnt, damit sie endlich abtreten kann, dachte Sowtschick und atmete einmal tief durch. Er schlug einen Bogen und näherte sich der City-Buchhandlung von hinten. In dieser Buchhandlung hatte er nach dem Krieg, nach Gefangenschaft und Krankheit seinen Brotberuf erlernt. «… Und führen, wohin du nicht willst» – hier hatte er zwischen Gollwitzer, Stefan Andres, Hemingway und Camus zu sich selbst gefunden. Der alte Herr Röwekamp hatte sich seiner angenommen, gütig und verständnisvoll: Kriegsgefangenschaft? Das kannte der, 1916 hatte er bei den Franzosen im Bergwerk gearbeitet, und das war auch kein Zuckerschlecken gewesen.
Röwekamp war erfreulicherweise schon tot. Der war nämlich Zeuge eines Vorfalls gewesen, an den Sowtschick sich nicht gern erinnerte. Nie war die Sache zur Sprache gekommen, sie war ein Geheimnis geblieben zwischen ihm und dem weißhaarigen Mann, einen langen Blick hatte es
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