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Hundstage

Hundstage

Titel: Hundstage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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die auch was davon haben, daß der Verfasser des Buches «Kaum einen Finger breit» extra nach Hamburg kommt, um aus einem neuen, noch unveröffentlichten Werk zu lesen.

    Über dem Schreibtisch hing eine Pinnwand mit Autorenfotos, Prack noch mit Schlips, Skalweit mit Köter unter dem Arm. Auch seines war dabei, 1952, Herrgott, war das lange her!

    Man konnte die Autoren mit einem Blick den verschiedenen Cliquen zuordnen, dem Münchner Kreis oder dem Achilles-Clan. Die Berliner Gruppe war noch die offenste, bei der waren Korrekturen möglich. Unsichtbare Fäden markierten die Angehörigen der verschiedenen Kraftfelder. Sowtschick als bête noire stand ziemlich sonderbar in der Gegend rum.

    Auf dem Tisch stand das Bild des Seniorchefs, ein würdiger Herr mit unbeschnittenen, ausgewachsenen weißen Augenbrauen. Genauso hatte er geguckt, als diese dumme Sache passierte, damals, vor vielen hundert Jahren, einen tiefernsten und doch gütigen Blick hatte er ihm zugeworfen, den Sowtschick nie vergessen konnte.

    Von draußen oder vielmehr drinnen brauste das Rabarbara des Publikums herein. Es wurde lauter und lauter. Jetzt kam Röwekamp zurück, sagte: «Fangen wir an?», und Sowtschick ging schnell noch einmal, wie er es immer vor Lesungen tat, auf die Toilette, um sich auch körperlich fit zu machen für die anderthalb Stunden, die er jetzt durchhalten mußte. Hier dachte er plötzlich an den jungen Mann, dessen Gedichte er weggeworfen hatte, Angst wallte in ihm auf. Geldstrafen in schwindelnder Höhe sah er auf sich zukommen, Gerichtsverhandlungen. Vielleicht hatte er sie ja gar nicht weggeworfen … Noch mal alles durchsuchen … Vielleicht waren sie ja noch da. Dann schritt er ohne weiteres in das nach Fischbratküche riechende Gewühl, drängte sich zwischen Globen, Bestsellertürmen und «günstigen Angeboten» hindurch, stieg über Jünglinge hinweg und Schülerinnen, die auf dem Fußboden saßen, und grüßte nach links und rechts und nach oben in den ersten Stock, von dem aus die Menschen ihre Beine herunterbaumeln ließen. Der König kommt in niederen Hüllen, er naht sich huldvoll und siehe! er ist ein Sterblicher wie ihr.

    Röwekamp junior war gezwungen, seinem Personal letzte Anweisungen zu geben, über die Köpfe der Zufriedenen hinweg, die einen Stuhl ergattert hatten, hin zu denen, die stehen mußten, an Säulen gelehnt und an den Blüthner in der Mitte des unteren Geschosses, auf dem dekorative Bildbände mehr oder minder aufgeschlagen lagen: «Der Staudamm zu Assuan, ein Fanal.»

    Applaus rauschte auf, als Sowtschick die Treppe hinaufstieg zum Treppenabsatz, von wo aus er lesen sollte. Kinder wurden angestoßen von ihren Eltern: Daß das der Herr Sowtschick ist, der all die schönen Bücher geschrieben hat, ältere Damen schnaubten ins Kölnisch-Wasser-Taschentuch, Herren strafften sich.

    Sowtschick setzte sich an das Tischchen, und während Röwekamp das Publikum begrüßte, auf die Tradition des Hauses verwies und zum hundertsten Mal die Tatsache einflocht, daß Sowtschicks Karriere hier in diesen Räumen ihren Anfang genommen hätte – er erinnere nur an das unverschämt gute Buch «Kaum einen Finger breit» –, eine Carrière (er sprach das Wort sehr französisch aus), die trotz der jüngsten, sehr haarsträubenden Angriffe einer sich von Schwachsinnigem nährenden Presse noch lange, lange nicht beendet sei … Während er dies tat und auch das Wort «hochkarätig» verwendete, goß Sowtschick sich sprudelndes Apollinaris ein und öffnete die Manuskriptmappe der «Winterreise». Er sah über die in Büchermassen eingekeilte Menge hin, aus der heraus ihn manch wohlwollender Blick traf, von Engelbert von Dornhagen, zum Beispiel, der dicht neben dem Eingang stand, von Carola Schade (eben doch ziemlich flott noch immer, man sollte es vielleicht ein letztes Mal versuchen), und sogar von Hessenberg, dem braungebrannten Verleger, der in einem Lehnstuhl saß und vergnüglich seine goldeingefaßten Zähne zeigte. Das war denn nun doch … daß Hessenberg gekommen war? Höchstpersönlich? Der hatte eben Stil.

    Es waren nicht nur wohlwollende Blicke, die ihn trafen. Aus dem Dunkel, im Hintergrund rechts, glühten die Augen von Jonathan Fabrizius, einem Autor, der vergeblich das zu vollbringen suchte, was Sowtschick mit plus minus Null gelang.

    Nun hätte Sowtschick eigentlich drankommen müssen, Selters war eingeschüttet, Lampe an, Mikrophon funktionierte, aber Röwekamp redete noch immer. Er wies, was

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