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Hundstage

Hundstage

Titel: Hundstage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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hätten sie in einem solchen Fall noch wegen Sabotage eine Strafe dazugekriegt!

    Gar zu gern hätte er gewußt, ob die Frage nach der Haftpflicht von den Mädchen kam oder von dem Fremdling …

    Es gehörte nicht viel Phantasie dazu, sich auszumalen, was die nächsten Tage bringen würden: ein ewiges Hinundhergefahre von Sassenholz nach Kreuzthal zum Krankenhaus, bei äußerster Vernachlässigung seiner Versorgung. Deshalb machte er es kurz, er leckte seinen Löffel ab und sagte spontan: «Kinder», und es sprach ganz ohne sein Zutun aus ihm heraus, «die Sache hier ist jetzt zu Ende.» Er müsse morgen nach Hamburg zu einer Lesung und nächste Woche zur Parlamentarischen Gesellschaft nach Bonn; das Treffen mit Übersetzern in Garmisch, die Sommerakademie in Dießen. Und Hamburg? Das wär doch wunderbar, da könne er sie gleich mitnehmen. Er fände es toll, daß sie ihn so gut versorgt hätten, primstens, es sei super gewesen, ja geradezu flockig – aber zu Ende nun. Vielleicht könnten sie sich ja mal wiedersehen? Im Herbst oder besser im Winter. Jetzt im Sommer abmachen, daß man sich im Winter wiedersieht und im Winter dann vom Frühling sprechen?

    Die Mädchen waren überrascht. Das kam plötzlich. Eins zu null! Aber sie sahen es ein, Adelheid als Mutter Vernünftig insbesondere, so ein Sommer könne ja nicht ewig dauern, sagte sie, und dann überlegte sie, ob sie nicht noch zehn Tage Juist dranhängen sollte. Sich mal von Grund auf erholen von all den Strapazen hier.

    Die Nichten, jede ein Brot mit Nutella in der Hand, sagten tapfer, sie hätten sowieso weggewollt, und tröstlich war es, daß Ralli schon morgen das Krankenhaus verlassen konnte, mit Gipsbein allerdings. Den würde man dann gleich mitnehmen können, nach Hamburg.

    Während die Mädchen diese Nachricht noch bekakelten, ging Sowtschick ostentativ in den Garten. Unter dem Krach eines Mähdreschers, der das benachbarte Feld abräumte, pflückte er die welken Lampions aus den Bäumen und trug die umgeschmissenen Stühle zusammen, holte auch einen Besen, kehrte die Terrasse und wischte den Tisch ab.

    Wenn die Kanalschwimmerin jetzt gekommen wäre und gesagt hätte, das könne sie doch machen, er solle sich doch nicht so anstrengen, dann hätte er «nein!» gesagt. «Ich brauche euch alle nicht, ich komme schon allein zurecht», das hätte er gesagt, und er hätte ihren Blick gemieden. Aber sie kam nicht. Und während er die Stühle ineinanderstellte, überschlug er, wieviel Stunden er noch mit den Mädchen zusammensein müßte, und er sehnte sich nach Einsamkeit. Alles aus! dachte er, und: Ich habe versagt.

    Ja, das war es, er hatte versagt, er hatte das Feuer zwar entfachen, aber nicht in Gang halten können. Anstatt den Jüngling gewähren zu lassen und dann einzubinden in den Kreis der Jugend, hatte er sich wie ein Kind benommen. Zu schmollen, anstatt sich zu stellen! Die Flammenschale, so hoffnungsvoll entzündet, würde niemand mehr anlocken, würde nichts beweisen. Klägliche Trümmer lagen herum, leere Flaschen, und das Gras war niedergetreten.

    Er ging hinein ins Studio, knipste den Fernseher aus, vor dem sich die Pferdemädchen aalten. Das Wohlgefallen, das sonst immer so warm in ihm aufstieg, wenn er sie sah, blieb diesmal aus.

    «Ihr müßt hier jetzt sofort verschwinden!» sagte er. Und: «Wer hat euch eigentlich erlaubt, meine Lakritzbonbons zu essen? Wißt ihr überhaupt, wie teuer die sind? Eine Frage wär das doch wohl wert gewesen, was?»

    Die Mädchen waren verdutzt, rappelten sich auf, und beim Rausgehen stießen sie mit dem Fuß gegen einen Stuhl.

    «Laßt euch hier nicht wieder blicken!» rief er noch hinterher.

    Mitten in seinem Studio stand er, zornig gereckt, die Vertreibung aus dem Paradies. – Nachdem die beiden gegangen waren, kam es ihm allerdings so vor, als habe er sich selbst vertrieben.

    Er stieg wieder hinauf in die dumpfige Fluchtburg, warf die Tür ins Schloß und schmiß die Riegel vor: Leid tat es ihm, daß er so war, und trotzdem wünschte er ein schnelles Ende der ganzen Affäre herbei. Der Winterroman, wie sollte er ihn je vollenden, wenn nicht augenblicklich die viermal sechsunddreißig Grad Celsius aus seinem Haus verschwänden.

    Er trat aber doch noch einmal an die Tür und lauschte: Hoffentlich waren sie jetzt recht ratlos. Wahrscheinlich stünden sie in der Küche beieinander und berieten sich?

    Ach, Sowtschick konnte nicht ahnen, daß sie gar nicht an ihn dachten. «Was hat er nur?» sagten

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