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Hundstage

Hundstage

Titel: Hundstage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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gegeben, durch und durch, und das war alles gewesen. Dieser Vorfall war übrigens der Grund, weshalb Sowtschick, zumindest in seiner Familie, trotz gelegentlichen Jähzorns für gütig galt. Er ging über die Lebensstolperungen seiner Kinder hinweg, weil es ihm gegeben war, die eigenen nicht zu vergessen.

    Als Sowtschick um die Ecke bog, schlug es drei Viertel acht von der Petrikirche, und was er hier zu sehen kriegte, erstaunte ihn. Er hatte zwar sein Publikum, Leser, die ihm treu blieben durch dick und dünn, weil er Bedeutsamkeit mit Sinnlichem interessant zu mischen verstand und überdies, was modische Strömungen anging, «auf dem Teppich blieb». Seine Lesungen waren immer gut besucht. Hier nun aber schlugen die Wogen hoch: Obwohl sich am Eingang bereits ratlose Menschen drängten, die nicht mehr hineinkamen, strömte aus allen Richtungen weiteres Publikum herbei, zum Teil ganze Familien, Eltern mit Großeltern und trotz der späten Stunde sogar mit Kindern.

    Einen Augenblick dachte Sowtschick an einen Irrtum. Am Ende war er hier in eine andere Veranstaltung geraten, ein Jubiläum oder eine Protestversammlung zur Abschaffung von Kernkraftwerken, «AKW – nee … », aber nein, es gab keinen Zweifel, alle, alle kamen seinetwegen.

    Sowtschick nahm eine freundlich-verwunderte Gesamthaltung ein, Leute, die ihn überholten, erkannten ihn nicht, und andere, die bereits Eintrittskarten in der Hand hielten und auf Freunde warteten, für die sie die Karten besorgt hatten, sahen über ihn hin. Die Autogrammjäger waren es, die ihn mit ihrem wachen Blick als erste wahrnahmen, sie klappten die Alben auf, sagten: «Bitte unten rechts!» und suchten, nachdem er sich verewigt hatte, augenblicklich das Weite.

    Nun kam aus dem Innern des Ladens der junge, inzwischen auch schon über fünfzigjährige Herr Röwekamp hervor, sein fliehendes Kinn nahm das zurück, was die überlange Nase vorgab, die langen Seitenhaare hatte er über die Glatze gelegt, und er trug einen dunklen Anzug und ein hellblaues Hemd. Etwas derangiert sah er aus, mitgenommen von der Menschen-Fülle, die in seinen Laden drängte. Das hatte er nicht erwartet: Nun ja, ein neuer, noch unveröffentlichter Sowtschick und die Sache mit dem Mord? Das hätte man sich denken können. Zwei Lehrlinge wies er feldherrnartig an, aus der nahen Fischbratküche Stühle zu leihen.

    Nun entdeckte er den Autor, und sofort fiel alles Niedere von ihm ab. In den Hausflur zog er seinen alten Freund, Lehrzeit, Buchhändlerschule und so mancher Jux, und er geleitete ihn – an allerlei Gerümpel vorüber – in sein Privatkontor, das gleichzeitig als Packraum diente.

    Beide hatten sie einen grauen Kittel getragen und morgens die schweren Grabbelkisten auf die Straße gestellt: Wie geht’s, wie steht’s, wurde gefragt.

    Röwekamp junior hatte die späten Folgen eines Skiunfalls zu beklagen, Sowtschick den jüngsten Skandal: Daß die Presse sich nicht schämt, einen unbescholtenen Mann auf einen vagen Verdacht der vollkommen bescheuerten Polizei hin so zu denunzieren! Im höchsten Grade schnöde sei das doch. Aber was soll die Polizei auch machen? Die tut ja auch nur ihre Pflicht.

    Sowtschick wurde aufgefordert zu erzählen, wie die Sache eigentlich gekommen war, aber, wie das so ist, kaum hatte er begonnen, seine mit Ausschmückungen versehene Story auszuschmücken und leichthin vorzutragen, da kam schon eine äußerst hübsche Buchhändlerin herein, sehr jung wirkend, die aber, wie Sowtschick wußte, bereits zweiunddreißig Jahre alt war und mehrere Kinder in die Welt gesetzt hatte. Einen schwarzen Hosenanzug trug sie, dessen Jackett clownartig breite Revers aufwies. Der Zappen sei endgültig duster, sagte sie, was zuviel ist, ist zuviel. Das Bauamt hat doch ausdrücklich gesagt, auf der Empore dürften höchstens zwanzig Menschen sitzen, und nun sitzen da oben echt fünfzig, wenn nicht mehr!

    Die Erbitterung, die diese Dame zur Schau stellte – sie nickte Sowtschick nur knapp zu –, war indessen nur umgepolte Freude, einen derartigen Auflauf hatte man hier ja noch nie erlebt.

    Sowtschick saß dann alleine in dem Packraum, der auch als Privatkontor diente, mit der alten Rechenmaschine in der Ecke und dem nagelneuen Bildschirm für Katalogzwecke, den Broschürenstößen und antiquarischen Kostbarkeiten im Regal. Auf dem Tisch lagen zum Signieren vorbereitete Sowtschick-Bücher, für Leute aus Außenbezirken, die keine Zeit hatten, oder denen der Weg zu weit war, damit

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