Hundstage
dann ging’s ab nach Kreuzthal, Ralli holen. Sanft fuhr der Wagen die Allee entlang, ein Stück eskortiert von den beiden Pferdemädchen, die eine auf Fango, die andere auf dem Fahrrad. Es wurde lange noch gewinkt.
So verrauschte Scherz und Kuß
und die Treue so.
Kaum waren sie auf der Bundesstraße, als der Wagen auch schon stehenblieb. Das Benzin war nun wirklich restlos alle. Aussteigen, nach Hause laufen und einen der verharzten Reservekanister holen? Meldet sich einer freiwillig? Schon nach wenigen Minuten hielt ein Auto mit gelbem Nummernschild, ein holländisches. Eine Art Rudi Carrell fragte in seiner merkwürdigen Sprache, ob er «die schöne Damens» irgendwie helfen kann? «Benzin? Wenn’s weiter nix iss …», und goß seinen Reservekanister in den Tank und wollte noch nicht einmal Geld dafür.
Ralli saß auf einer Bank vor dem Krankenhaus und winkte mit einem Handstock. Auf dem Rasen hatte sich ein Posaunenchor gruppiert, der die Kranken an diesem Wochenende mit Chorälen erfreuen wollte. Ein Subbaß war dabei, der zog alle Blicke auf sich. Der Mann, der ihn blies, hatte einen roten Kopf. Das bin ich, dachte Sowtschick. Ich bin der Mann mit dem Subbaß.
Die Sonne schien so stark, daß sich die Kranken in den Schatten der großen Bäume zurückzogen. Ralli hatte sich der Sonne ausgesetzt, die Strahlen, die auf ihn fielen, mochten gut sein für seinen Fuß.
Als Mann durfte er dann im Auto vorn neben Sowtschick sitzen. Vielleicht mußte ja mal auf die Karte geguckt werden oder dieser oder jener Hebel umgelegt…
Er müsse sich klar darüber sein, daß er auf eigene Gefahr mitreise, sagte Sowtschick, er sei hinsichtlich von Mitfahrern nicht besonders versichert. Dies war die letzte Spitze, die er sich erlaubte.
Nachdem die Fußverknacksung ausführlich besprochen worden war, von Überdehnung der Sehnen war die Rede und von gequetschten Knorpeln, kam es zu einem Gespräch zwischen den Männern, das rasch an Schärfe verlor. Ihr wandelt droben im Licht, selige Genien … Die Idee mit den Gedichten auf den Autobahnbrücken fand Ralli super, wie er überhaupt viel weniger aggressiv war, als Alexander angenommen hatte. Im Gegenteil. Er entwickelte Sowtschicks Autobahn-Ideen weiter: Übergroße, aus Leichtmetall gefertigte Windräder nach Art von Kinderspielzeug, die der Autofahrer durch sein Vorbeisausen selbst in Gang setzt, und Kontaktleisten, in die Fahrbahn eingelassen, mit einem Zählwerk verbunden, auf denen deutlich lesbar dem Fahrer angezeigt wird, der wievielte er ist, der hier mit seinem Wagen diese Stelle jetzt passiert. So was könnte gemeinschaftsbildend wirken oder den Sinn wecken fürs Kolossale.
Sehr angenehm war es, daß er Sowtschicks Abneigung gegen Ausländer teilte. Frankreich war zwar wunderbar gewesen, aber die Franzosen! Fahren wie die Säue und tun so, als ob sie kein Deutsch verstehen …
Sowtschick sagte, er sähe diese eigenartigen Menschen schon als Blechklumpen am Brückenpfeiler kleben mit Rädern, die sich noch drehen, zerfetzt, zertrümmert, atomisiert. Und dann sprach er seine Lieblingsidee aus, die Sache von der Ver-Allung der ganzen Existenz. Wer das nachweisen könnte, sagte er, daß die Moleküle des Fleisches sich nach denselben Gesetzen umeinander drehten wie die Gestirne, dem würde die Krone der Wissenschaft gebühren.
Leider zerstörte der junge Mann, der ein paar Semester Physik studiert hatte, die globalen Träume Sowtschicks. Die kleinsten Teilchen verlören alle Eigenschaften der großen, beispielsweise die Farbe. Was sei Farbe? Unser blauer Planet zum Beispiel – es gebe kein Molekül, das blau ist.
Keine blauen Moleküle? Keine roten, keine grünen? Das bedauerte Sowtschick, er fühlte sich heimatlos gemacht. «Aber es muß doch etwas geben, das uns alle verbindet mit allem?» sagte er, und er verfiel auf die Elemente, und das tröstete ihn wieder.
Daß sich ein Schriftsteller mit so was beschäftigte, gefiel dem jungen Mann. Er hätte immer gedacht, daß die älteren Herrschaften nur ans Geldverdienen denken. Es war bei ihm so etwas wie Respekt vorhanden vor dem erfahrenen Schriftsteller, und das rührte daher, daß er grade Sowtschicks «Kosel» las, diese Festungssache aus der Franzosenzeit, die eine Verkaufskatastrophe gewesen war. Das Gespräch hakte sich fest an diesem Buch, die Eingeschränktheit der Verteidiger, das Aquariumleben der Bürger, Herrschaftsstrukturen, bürgerliche Mechanismen, Außendruck und so weiter. Jetzt, wo er
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