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Hundstage

Hundstage

Titel: Hundstage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Sowtschick nicht gefiel, «bei dieser Gelegenheit» auf andere Autoren hin, die nächstens kämen, Lothar Resche, zum Beispiel, aus Zürich, dessen neues Buch ja nun wirklich Furore mache, und die faszinierende Franziska Liebermut, einundzwanzig Jahre jung, die, wie ja nun wohl wirklich jeder wisse, in Linz jüngst bei der Autorenhinrichtung den ersten Preis für ihren zweiten Erzählband bekommen habe… Das ärgerte Sowtschick. Die Nennung dieser Namen zog etwas ab von ihm, nahm Kraft und Bedeutung fort, die er erst wieder würde zurückgewinnen müssen durch Leistung.

    Die Fotografen blitzten noch ein paarmal, von links und von rechts, und drückten sich danach aus dem Laden. Dann trat Stille ein, nun war er an der Reihe, und nun war er wirklich ganz allein.

    Sowtschick dankte für die Begrüßung und fürs Kommen, wies darauf hin, daß er selbst eine Lesung von Alexander Sowtschick nicht besucht haben würde, was erheiternd wirkte, ohne daß darüber jemand lachte, und gab der Freude Ausdruck, hier nicht mit Handschellen vorgeführt worden zu sein. Worte waren das, die das Publikum erwartete, und die es nun, da es sie bekommen hatte, in eine aufbereitete Stimmung versetzten. Ein letztes Räuspern, und dann begann Sowtschick zu lesen von Fingerling und seinen beiden Freundinnen, zwischen dem «Zauberberg» und den «Drei Männern im Schnee» dahinmanövrierend, und Sowtschick hörte sich, wie das immer so war, ohne eine Spur von Befangenheit, selbst zu. Ich habe mich entäußert, dachte er, und er sah sich an dem Tisch sitzen, das Manuskript umblättern, und er sah die Menschen ihm zuhören, den Kopf in die Hand gestützt, junge Menschen aneinandergelehnt, Kinder zwischen den Knien der Erwachsenen. Von draußen durch die Fensterscheibe guckten auch noch welche herein. Er sah das alles und dachte gleichzeitig an Urlaubsmenschen, die zu diesem Zeitpunkt nach Hause strebten, ein Auto hinter dem andern, in Autobahn-Raststätten Schnitzel essen oder in Staus eingeklemmt mit Hubschrauber obendrüber und in der Ferne ein Hügel mit Burg. An seinen Vater dachte er, der sich mit einem weißen Taschentuch die Stirn wischte, an die Klavierlehrerin – «dann hat er also doch Talent?» – und an Rubinstein, der die gichtigen Hände über die erloschenen Augen hielt und ihm ebenfalls zuhörte.

    Von den Problemfeldern, die er sich notiert hatte, war, soweit er sehen konnte, nicht das geringste in seine Prosa eingegangen: weder die Asylantenfrage noch der Atomtod, kein Arbeitsloser war in Sicht und keine Öko-Sache. Das müssen wir noch nachholen, dachte er, irgendwie kriegen wir das schon hin, und er dachte an die Redstone-Kiefern im fernen Oregon, die Tag für Tag an seinem Haus vorübergefahren worden waren, damals vor sieben Jahren.

    Als er dann von Fingerlings Sommer-Novelle las, die der in tiefstem Winter schreibt, von «Flut» also – «Nun kommt die Stelle, wo es nach Cis geht» –, vom Gischt, der um den Felsen schäumt, auf dem eine Frau sitzt, die in ihrer Sucht nach Einsamkeit den Drang zur Bindung an Altvertrautes neu kennenlernt, da dachte er auch an Marianne, an deren lieben runden Kopf, Liebster Mann, an den er den eigenen lehnen konnte in schweren Stunden. Wenn ihn nicht alles trog, würde er sie bald wiedersehen, und darauf freute er sich. Viel würde er ihr erzählen können, und lange würde er ihr zuhören müssen. Die «Winterreise» kam ihm recht schier vor, wie in seinem Schwimmgang schwabbelte die Sache zwar noch etwas, aber im ganzen war das alles recht erfreulich. Vergiß das Beste nicht! dachte er auch, und er sah sich in den Katakomben nach alten Schnitzereien wühlen, das dreizehnte Zimmer, wo war es? Er würde es finden müssen und betreten, sonst würde es wieder nichts sein mit dem «hölzernen Rad der Kultur». Das Wasser würde die Speichen hinabtriefen, ach, und das Rad würde sich nicht rühren.

    So saß er da, und so las er, sah ab und zu aus den Textzeilen ein doppeltes «hatte» sich nähern, das seinem kritischen Blick bisher entgangen war, und dachte an die Sendung «Rock-Palast», in der Scheinwerfer über jubelnde Kindfrauen huschten, die auf den Schultern jubelnder Jünglinge saßen, an Ovationen also, die er mit seiner Winterprosa nie erregen würde.

    Die Uhr näherte sich allmählich den vereinbarten fünfundvierzig Minuten. Sowtschick war gezwungen, etwas langsamer zu lesen, er mußte das zu kurz geratene Kapitel «strecken», denn es machte ihm bei Lesungen immer

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