Hundstage
nur ein vergnüglicher Austausch von Liebenswürdigkeiten geworden.
Erst gegen zehn kam der Fremdling angedonnert, von Mofas begleitet, mit denen er um die Wette gefahren war. Rhythmisch hupend verabschiedete er sich von den salut-klingelnden Jungs, und dann kam er, von den Hunden gewaltig umsprungen, ins Haus, strich sich Brote mit Sowtschicks wertvollem Griebenschmalz und setzte sich ohne nähere Erklärung zu seinem Gastgeber auf die Terrasse.
Nur kurz hatte Sowtschick damit zu tun, seinen Unwillen niederzukämpfen. Dann lauschte er dem Fremdling, der von der kardanischen Aufhängung der Kanonen in indischen Panzern sprach, daß man also schießen kann, auch wenn man über Bodenwellen dahinrast, was er mit der hellhäutigen Hand nachahmte. Der indisch-pakistanische Krieg, sein geteiltes Heimatland …
Sowtschick überlegte, ob er ihm nicht als Gegenleistung für diese Belehrungen etwas aus seinem Roman vorlesen sollte. Für diesen Asiaten ergebe sich dadurch die Gelegenheit, ein abendländisches Literaturerzeugnis in statu nascendi kennenzulernen. Und während der Inder mit drei Apfelsinen jonglierend von der Feuerkraft moderner Panzerabwehrraketen sprach, überlegte Sowtschick, welches der bereits entstandenen Kapitel er ihm darbieten sollte.
Heute lieber noch nicht, dachte er, erst morgen, wenn man sich aneinander gewöhnt hat.
Sonderbar kam es ihm vor, daß von den sechshundert Millionen Menschen des Subkontinents nicht ein einziger den Namen «Sowtschick» kannte, geschweige denn ein Buch von ihm …
Auf der Terrasse saßen sie: Sowtschick, der Europäer, von seiner Frau in zärtlichen Stunden «Eichhörnchen» genannt, und Apahasi Singh, der Löwe, ein Feuerchen entfachend. Fledermäuse flirrten über den dunklen Himmel, und durch die Flammen flatterten Motten jeder Größe. Süße geistige Getränke waren auch vorhanden.
Sowtschick, der im wesentlichen zuhörte, kam erst in später Stunde dazu, dem Inder von sich zu erzählen, Krieg, Gefangenschaft und die erhungerte Karriere. Er sei ja, wie jener wohl wisse, Schriftsteller, habe grade ein neues, übrigens sehr lustiges oder besser gesagt, interessantes Buch in Arbeit, einen doppelbödigen Roman, der von einem Schriftsteller handle, der sich in einen Winterort zurückgezogen hat, «Tod in Venedig»-artig, aber doch wieder ganz anders, er für seine Person habe also zu schreiben, was harte Arbeit sei, acht bis zehn Stunden täglich (in denen er übrigens nur eine knappe halbe Seite schaffte, was sich allerdings nach Adam Riese im Jahr zu einhundertfünfzig Seiten addiere), und er wäre ihm, Apahasi Singh, äußerst dankbar, wenn er abmachungsgemäß auch für das Abendbrot sorge, wofür denn ja auch im Hinblick auf Finanzielles einiges auf ihn zukäme.
Der Inder hörte freundlich zu, was ihn nicht hinderte, mit den Hunden zu spielen, die jetzt allerdings lieber geruht hätten. Schließlich ließ er das und stellte sich in das Abendlicht: Apahasi Singh, unsagbar sanft und schön, schwerwiegende Vergangenheit und strahlende Zukunft in einem. Er wolle auch ein Buch schreiben, sagte er und begann dem abschlaffenden Sowtschick ohne weiteres die Handlung des geplanten Werkes zu entwickeln, von Anfang bis zum Schluß, einschließlich stilistischer Besonderheiten und gestalterischer Merkmale und unter Hinweis auf andere Autoren, denen er nacheifere, ohne sie indessen nachzuahmen. Dieses, dem Kämpferischen geweihte Werk wolle er schreiben und werde er schreiben.
Sowtschick stand auf und deutete gen Himmel: Dies sei der deutsche Himmel, der abendländische, mit Großem und Kleinem Bären, und dort der Sirius im Sternbild des Hundes – Hundstage, die heißesten Tage im Jahr. Mit Indien nicht zu vergleichen, aber doch ganz schön, nicht wahr? Wenn dies hier zu Ende sei, er meine sein Aufenthalt hier in Sassenholz – irgendwann wäre der ja zu Ende –, dann müsse er mal im Winter kommen, wenn die Schneeflocken vom Himmel segelten und jeden Zaunpfahl mit einer Plusterung versähen. Er hoffte, daß er dann mal wiederkomme, sagte Sowtschick, obwohl jener noch da war, und er sagte «Tschneepflocken» aus Versehen.
A m darauffolgenden Morgen lag tiefer Friede über dem Anwesen. Die Sonne prallte auf das Dach, und hoch oben in der Stratosphäre zog ein Flugzeug zwei weiße Striche über den tiefblauen Himmel. Vom Dorf her war das Krähen eines Hahns zu hören und ab und zu das Kreischen einer Kreissäge, ansonsten war es ganz still.
Sowtschick wachte
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