Hundstage
der sie erledigen.
In der Kieskuhle badete junges Volk, Jungen und Mädchen. Mit Autoreifen spielten sie, und nun schleuderten zwei Rüpel Flaschen auf einen Stein. Na, Mahlzeit! Die Splitter patschten in das klare Wasser. Barfußlaufen ade! Diese Untat hatte von der gegenüberliegenden Seite auch der Schulmeister beobachtet. Er stürzte den steilen Abhang hinunter, die Kinder flüchteten schreiend.
Sowtschick sah auf die Uhr. Schon sechs. Er schleppte sich ziemlich lustlos dahin. Als er sich dem Torfgebiet der Firma Senneschalk näherte, zeigte sich Erika in der Ferne. Heftig winkte sie, und stolpernd stürzte sie näher, um sich an ihn zu hängen. Rasch machte Sowtschick kehrt, und zwar absolut und plötzlich um hundertachtzig Grad. Damit er nicht eingeholt würde von diesem Wesen, das ihm nur in bestimmten Gemütszuständen angenehm war, nahm er Abkürzungen quer durch Schonungen.
Im Laufschritt erreichte er schließlich seinen Garten. Er schlug dem Mädchen, das dieses Laufen für einen Spaß hielt, im letzten Augenblick die Pforte vor der Nase zu. Sie ließ sich jedoch nicht beeindrucken und versuchte über den Zaun zu klettern. Sowtschick schob den bereits auf den oberen Draht geschwungenen Fuß herunter und wurde «ernst», was Eindruck machte: Ob sie sich nicht denken kann, daß er keine Zeit hat, er habe schließlich Besuch aus Indien.
«Aus Indien, Erika, stell dir mal vor!»
Und er erzählte von weißen Elefanten und von Turbanleuten, die Feuer schlucken und sich auf ein Nagelbrett legen können, ohne daß ihnen das weh tut.
«Du mußt nun mal ganz vernünftig sein», sagte er und strich ihr nach Erwachsenenart über das Haar: «Geh jetzt nach Hause, und grüß Mama schön.»
Schmollend hockte sich das Mädchen an den Wegrand: «Ick komm nie wedder to di …»
Sowtschick war’s einerlei. Er winkte den Schafen zu, tätschelte die Kuh Bianca und begrüßte die Hunde, die beleidigt taten, weil er sie nicht mitgenommen hatte. Dann trat er in das Haus, neugierig, wie er den Gast wohl antreffen würde und: wo. Dieses Haus war nicht mehr dasselbe wie zuvor. Hier war eine neue Zeit angebrochen, so kam es Sowtschick vor, alles war anders geworden seit viereinhalb Stunden, bedeutsamer, weitläufiger und toller. Warum hatte man das nicht schon längst getan, einen Inder eingeladen?
Nachdem Sowtschick durch alle Räume gegangen war und sie leer gefunden hatte – vermutlich war der Hausgenosse auf seinem Zimmer –, ging er in die Bibliothek und las etwas über den Zoroastrismus, über die Türme des Schweigens, auf denen die Toten den Geiern zum Fraß vorgesetzt werden. Er fand dort auch den Bildband: «Ewiges Indien», mit herrlichen Fotos von gutgewachsenen Menschen. Vielleicht sollte man ja doch mal prüfen, ob man nicht ein kleines Mädchen importieren könnte, zierlich, mit großen Augen und Punkt auf der Stirn, in bunte Tücher gehüllt. Vielleicht mehrere Mädchen, und die dann im Garten tanzen lassen zu Tamburin und Schellen.
Die Januarausgabe der Zeitschrift «Terra» versteckte er sicherheitshalber, darin war die Girl-Street in Kalkutta abgebildet, mit zwölfjährigen Hürchen in grünen Lattenverschlägen. Nicht auszudenken, wenn der Gast sie zufällig entdeckt hätte!
Sowtschick erfrischte sich im Schwimmbad. Er schwamm kraftvoller als sonst und zählte laut die Runden: Dreiundzwanzig, vierundzwanzig, fünfundzwanzig … Jeden Tag eine mehr, Körperbeherrschung, eiserner Wille. Danach kamen die Heimtrainer an die Reihe, ein feststehendes Fahrrad und eine Art Ruderboot. Auch das letzte Gramm Fett würde er sich noch wegtrainieren, dem Abendland mußte Ehre gemacht werden.
Dann spielte er Klavier, wobei er sich vorstellte, daß der Fremde, der sich vermutlich in seinem Zimmer langgemacht hatte, die Ohren spitzen würde. Kulturgut von gleich zu gleich, das Tadsch Mahal und Maria Laach, ewige Werte hier wie dort: Sowtschick spielte die «Jagdsonate» so gut, wie er sie noch nie gespielt hatte. Rubinstein zur Rechten und die Klavierlehrerin zur Linken wunderten sich, und in der Ferne nahm der Vater seinen goldenen Kneifer ab: Konzert für Millionen.
Was abendländische Kultur betraf – warum sollte er mit dem Fremdling nicht eine Deutschlandtour unternehmen? Die Weser aufwärts, den Rhein … In weißen, einsam daliegenden Hotels absteigen und sich die Koffer hineintragen lassen? Der Schwarzwald … Oder Regensburg? Und während der Fahrt über Kunst sprechen, «Maria im Rosenhag»
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