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Hundstage

Hundstage

Titel: Hundstage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Gründen. Im Rempter war nämlich zur Franzosenzeit eine Vereinbarung unterzeichnet worden zwischen einem Marschall Napoleons und örtlichen Persönlichkeiten, die dann allerdings leider zum Abholzen der Bruchwälder geführt hatte und zur Gestellung von Pferden und Kühen. Die ganze Börde war auf Jahrzehnte hinaus verarmt. Das zierliche Beinhaus des Klosters hatten die Franzosen mutwillig abgerissen und das frühgotische Gestühl verheizt.

    Vielleicht sollte man den Inder mal auf diese Sehenswürdigkeit aufmerksam machen, dachte Sowtschick. Oder lieber nicht? Auf den würden die milchigen Fresken, die erst im vorigen Jahr freigelegt worden waren und bereits wieder verschimmelten, eher einen kümmerlichen Eindruck machen.

    An diesem Tag ging von der Kirche nicht viel Beschaulichkeit aus. Mit Preßluftbohrern war man dabei, die Folgen der letzten Restaurierung zu beseitigen, den hochmodernen Mörtel, der das Feldgestein zu sprengen drohte.

    Sowtschick seufzte, dann aber lachte er höhnisch: Diese Idioten! dachte er, und er meinte damit ganz allgemein die Neuerer, die überall saßen, in jeder Behörde, und nichts wie dummes Zeug anstellten.

    Ein besonderes Stück hatten sich die Leute mit dem Rathaus geleistet, das ebenfalls an der Kreuzung stand, aber auf der anderen Seite. Unweit der Klosteranlage hatten sie den Behördenpalast errichtet – ein weißgekalktes altes Landgasthaus hatte dafür weichen müssen –, mit einem Turm, der höher war als der Turm der Klosterkirche. Oben bestand er aus Glas, eine falsch konstruierte Dekorationssache, in die es hineinregnete. Im Parterre hatte eine Sparkasse Unterschlupf gefunden, Papp-Pfennige und Großfotos von glücklichen Menschen standen in den Fenstern. Und in dem Geldinstitut surrte eine Klimaanlage, ohne die es, wie alle Kreuzthaler fanden, auch gegangen wäre.

    Auch im Rathaus fand Sowtschick nicht statt (mal abgesehen von seinem Steuerfiasko im letzten Jahr). Hier regierten nämlich Leute, für die das Werk Sowtschicks ein Buch mit sieben Siegeln war. «Ist das nicht dieser Literat, der da irgendwo in Sassenholz wohnt?», das war das einzige, was den Herren einfiel, wenn sie seinen Namen hörten. Seinen letzten Bauantrag hatten sie vier Wochen liegenlassen, seinen Antrag auf Genehmigung eines stromerzeugenden Windrads abgelehnt, und in dem Bildband «900 Jahre Kreuzthal» waren zwar sämtliche Hobbytöpferinnen und Heidemaler der Börde genannt – von Sowtschick fand sich keine Spur in dem mit Steuermitteln geförderten buntbebilderten Werk.

    Schuhgeschäfte, ein «Dit und Dat»-Laden mit Strohblumen, Holzkummen und Glasvögeln, die mit roter Flüssigkeit gefüllt waren und sich bewegten, wenn sie in die Sonne gestellt wurden. Chinesische, griechische und jugoslawische Gaststätten; eine Fußgängerzone mit Pflanzenkübeln und Bänken, auf denen Asylanten rasteten und Schwerbehinderte aus «Siloah», der nahen Anstalt der Inneren Mission, von fröhlichen Zivildienstleistenden betreut.

    Beim Fotografen im Fenster hingen die neuesten Brautpaarfotos, dicke Bräute mit körpersattem Grinsen, und dünne, zersorgte Bräutigame. Hier gab Sowtschick die belichteten Filme des Vortages ab und deckte sich mit neuem Rohmaterial ein.

    Während er im Musteralbum blätterte, in dem Soldaten der Königlich Niederländischen Armee posierten und ganze Familien einschließlich Hund, empfahl ihm die Fotografin, eine dunkle Dame mit zusammengewachsenen Augenbrauen und Damenbart, deren Spezialität Aufnahmen von Heidekaten im Winter war, ein spezielles Objektiv für seine Minolta, mit dem man sowohl Mikro-als auch Makroaufnahmen machen könnte. Sowtschick blieb zurückhaltend, weil er bereits sechs verschiedene Objektive besaß und doch nur immer ein und dasselbe verwendete.

    In der appetitlich riechenden Bäckerei kaufte Sowtschick ein noch warmes Weißbrot und «Heidesand», dieses Gebäck, das zwar auf der Zunge zergeht, aber bei ihm gewöhnlich Magenkatastrophen auslöste, da es offenbar mit modernen Treibmitteln und anderen chemischen Zusätzen versehen war. Die Verkäuferin sagte zu einer Hausfrau, die sich nach Frauenart vordrängte: «Ich glaub, jetzt kommt erst mal Herr Zoffscheck dran …», was diesen, der schon aufbrausen wollte, in milde Stimmung versetzte.

    Dann ging er in die zwölf Meter lange Fußgängerzone und kaufte in der Rats-Apotheke das von Dr. Schmauser verordnete Schlafmittel. Ob er nicht gleich eine Großpackung bekommen könne, fragte er den

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