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Hundstage

Hundstage

Titel: Hundstage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Freiexemplare. Eine gepfefferte Sache sollte das werden, mit Gift und Galle! Sowtschick warf den Brief auf den Tisch und ging hinaus, den schlängelnden Weg zum Wald. Das hatte ihm noch gefehlt, Parteien! «Ich werd ’n Deibel tun!» sagte er laut. Was hatte er mit den Parteien zu schaffen? Einmal war er nach Bonn geladen worden, zum Gedankenaustausch: Die Reise hatte er selbst bezahlen müssen, und der Gedankenaustausch hatte darin bestanden, daß er für ein Foto posieren mußte mit dem Minister.

    Nein, zu Parteien konnte er sich nicht äußern. Am besten sofort absagen. Aber, konnte man das denn wagen? Koller, Haffmann und die Liebetrudt, alle würden sich beteiligen an diesem Unternehmen, und wenn er es nicht tat, dann würden die Leute sagen: «Und Sowtschick? Wo ist Sowtschick? Ist ihm die Gegenwart denn schnuppe? Nimmt er denn überhaupt keinen Anteil an den Problemen der Gesellschaft?»

    Am besten gar nicht reagieren. Er hätte ja auch an der Atlantikküste sein können, fern im fernen Frankreich.

    «Ich war seinerzeit in Frankreich», sagen, wenn man ihn eines Tages für sein Schweigen zur Rechenschaft zöge.

    Im Wald war es zu dieser Tageszeit nicht besonders angenehm. Die Hitze stand flimmernd auf dem Weg. Fliegen umschwärmten Sowtschick, und im Nacken stach ihn sogar eine Bremse. Kolonnen von fahrradfahrenden Oberschülern kamen nicht daher, statt dessen mißbrauchte die Dorfjugend den Wald wieder einmal als Rennbahn. Mit Mofas fuhren sie speedwayartig durch die Schneisen. Zu Gesicht bekam Sowtschick sie nicht, aber zu Gehör. Wie schade, daß Budweis, der Jäger, das nicht mitkriegte. Aber der würde sich kaum trauen, gegen diese Lümmel was zu unternehmen. Der würde vermutlich denken: Die zünden mir am Ende meine Jagdhütte an!

    Statt des Jägers kam der cholerische Schulmeister daher, der besah sich schwitzend die Natur. Unmäßig schimpfte er auf die Mofafahrer: Die Natur sei das einzige, was wir noch haben, aber nicht mehr lange! Er hielt Sowtschick ein Brombeerblatt unter die Nase: Hier, er sollte mal fühlen, schon ganz klebrig von all den Abgasen… Gott sei Dank habe er jetzt herausgebracht, was das für Kerle sind, die hier den Boden bis zum Ortstein hinab aufreißen. Er habe sich die Namen notiert! sagte er und holte das Notizbuch heraus, ob er sie noch lesen kann. Er werde heute noch mit seinem Schwager sprechen, dem Hauptkommissar Wagner, ob sich da nicht was machen läßt, das müsse doch mit dem Teufel zugehen! Woher die das Geld überhaupt hätten für all das Benzin – arbeitslos? Also, er sei auch arbeitslos gewesen nach dem Weltkrieg, damals hätte er aber kein Geld gehabt für ein Motorrad. Wurstabfälle habe er sich gekauft beim Schlachter und Kuchenkrümel beim Konditor.

    Wenn er was zu sagen hätte … Und dann entwickelte er dem schwitzenden Sowtschick, einen Fuß auf einen modrigen Baumstumpf gestellt, Pläne für Arbeitslager verschiedener Härtegrade, Straßenbau mit strenger Zucht und einfacher Kost.

    «Und wenn’s gar nicht hilft, dann kriegen sie eben eine Tracht Prügel!»

    Er habe schon gedacht, es gebe doch diese Hexenkrallen oder wie die Dinger hießen – am liebsten würde er sich eine Tüte davon kaufen und sie ausstreuen, damit diese Burschen einen Platten nach dem andern kriegten.

    Auf der rechten Backe hatte der vierschrötige Mann Kratzverletzungen. Die rührten wohl von den Ringkämpfen, die er mit seinem kranken Sohn zu bestehen hatte, Tag für Tag. Sowtschick dachte an einen französischen FiIm, in dem eine Art Wolfskind gezeigt wurde, in einem Schrank hausend, dreckverkrustet: so ungefähr stellte er sich den Sohn des Schulmeisters vor, den er noch nie zu sehen bekommen hatte.

    «Was macht Ihre Frau?» fragte Sowtschick in den sprühenden Redefluß hinein, und das stoppte den Schulmeister, der verlor den Faden und verstummte – eine gute Gelegenheit für Sowtschick, sich loszumachen.

    Er ging die große Schneise entlang. Links und rechts halbhohe Bäume, schnurgrade ausgerichtet. Dies war nicht Natur, dies war eher niederdrückend als erholsam.

    An Ohltrop dachte er und an dessen Ermordung: Das von der Rippe abgleitende Messer, das mühsame Durchsäbeln der Kehle. Er stellte sich vor, daß er selbst es sei, der sich auf den Mann geworfen und auf ihn eingestochen habe. Wie sich die Mörder wohl erschrecken würden, wenn sie in der Nacht in sein Haus eindrangen und auf den kampfesmutigen Inder stießen! Mit wenigen, gutgezielten Hieben würde

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