Hundstage
hinterherfahren sollte.
Gut, daß der Flügel offenstand: Das hatte gewiß Eindruck gemacht. Und die Unmenge von Post, die vielen Briefe und Päckchen.
Im Schwimmbad übrigens waren sie auch gewesen, die Spritzer an den Fenstern wegzubringen würde Arbeit machen.
S owtschick kontrollierte zunächst einmal die Türen, ob sich da Kratzspuren von potentiellen Einbrechern finden ließen, wie Kommissar Wagner gesagt hatte, an der Alleetür war ihm so, als ob da jemand dran herumgefummelt hätte.
Den Rest des Vormittags verbrachte er damit, an seinem Text zu feilen. Um ihn dem Inder möglichst makellos darbieten zu können, ging er ihn Satz für Satz noch einmal durch. Was ihm auffiel, war, daß in seinem Roman noch immer keine Menschen vorkamen. Außer Fingerling und seiner blonden Antiquitäten-Freundin keine Menschen.
Sowtschick sah in sich hinein, ob in den winterlichen Gassen seiner Vorstellung nicht irgendwas Lebendiges zu entdekken wäre, aber da waren nur einige, das Haupt verhüllende Schemen. Statt dessen glitt sein inneres Auge über sommerlich glitzerndes Meer. Wellen stürmten über Felsklippen, der Schaum flockte. Und das gehörte nicht zur Sache. Mit dem Gebirge hatte er es zu tun, im Winter, nicht mit dem Meer im Sommer.
Out! Out! Tausendmal out!
Sowtschick stand auf, zog die Hose hoch und setzte sich wieder: Er mußte sich auf Fingerling konzentrieren, auf den Winter und aufs Gebirge. Er schloß die Augen und ließ die Bilder kommen, und nach einer Weile sah er auch ganz richtig den einsamen Gottfried Fingerling vor dem Antiquitätengeschäft stehen, einen Fuß auf der Treppe. Befremdlicherweise in Havelock und Schlapphut und mit einem Bart wie Napoleon III. Sehr sonderbar.
Die Straße verwandelte sich in die Straße einer französischen Kleinstadt, der Laden war ein Hutgeschäft, im ersten Stock saß die vertrocknete Leiche einer Frau, und der Hutmacher war Michel Ferrault …
«Die Fantome des Hutmachers» hieß der Film, der sich statt eigener, aus der Tiefe der Seele aufsteigender Bilder in Sowtschicks Innerm abspulte. Interessant, aber für Sowtschick nicht zu brauchen. Wieder schloß er die Augen und ließ Bilder kommen. Diesmal war es tatsächlich Hochgebirge, im Schneesturm. Aber in dem Film wurde geschossen, und ein Soldat robbte durch den Stacheldraht, sehr vorsichtig, damit ihn die Blechbüchsen am Draht nicht verrieten. «Standschütze Bruggler» hieß der Film, in den Sowtschick nun geraten war. Also wischte er alles fort und konzentrierte sich auf Fingerling und auf die Stadt im Gebirge. Aber da rührte sich nichts. Da war alles zu. Sowtschick gab auf. «Dann eben nicht», sagte er und ging an den Schrank mit den Videobändern, um den Chabrol-Film herauszusuchen, der sich da eben in seine Phantasie gedrängt hatte. Während er das tat, fiel ihm auf, daß die Kassetten unordentlich beschriftet waren. Er holte Klebebänder und einen lichtechten Filzstift und machte alles neu.
Er hatte viel Zeit dazu, denn das Essen gab es erst um halb vier. Spät, aber erstklassig: eine Suppe, danach Kartoffeln, die wie Gemüse angemacht waren, geschmortes Rindfleisch, kleine kloßartige Teigbällchen und dazu eine äußerst süße Konfitüre.
Das Tischgespräch wurde zunächst von Sowtschick geführt. Er kam auf das Buch zu sprechen, das er grade las, «Unternehmen Cerberus», der Gewaltmarsch der prachtvollen deutschen Schlachtschiffe und die kümmerlichen Gegenmaßnahmen der Briten …
Dies hörte der Inder gern, und es stellte sich heraus, daß er spezielle Kenntnisse über die deutsche Marine hatte. Wie denn die Schlachtschiffe geheißen hätten? Aha! «Scharnhorst», «Gneisenau»? Na, das wundere ihn nicht. Die Engländer seien eben schon immer etwas hinter dem Mond gewesen. Allein schon der Marschtritt, wie sonderbar, den Schritt immer so zu verhalten … Da wär der deutsche Parademarsch schon was anderes! Ob Sowtschick den noch könne? fragte er.
«Aber sicher!» rief Sowtschick und legte die Serviette auf den Tisch. Und dann ließ er sich dazu hinreißen, großdeutschen Paradeschritt hinzulegen, daß die Gläser zitterten. Darüber hinaus holte er aus der Garderobe einen Regenschirm und machte dem Inder vor, wie man das Gewehr präsentiert.
Dem Inder gefiel das alles sehr. Als Sowtschick merkte, was er getan hatte, korrigierte er das Bild, das sein Gast nun wohl von ihm haben mochte. Über seine Vergangenheit sprach er, der beschissene Krieg, die ekelerregende
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