Hundstage
tun!» Wie auch immer er sich äußern würde, mit vierzig Prozent seiner Leser würde er es sich jedesmal verderben.
Sowtschick packte Pakete mit Büchern, die ihm zum Signieren geschickt worden waren und entledigte sich lästiger Rechnungen. Er telefonierte mit dem Handwerker, der ihm den Faradayschen Käfig bauen sollte, und der versprach vorbeizukommen. Von Dornhagen war beim Zahnarzt, und Carola Schade nahm wieder mal nicht ab.
Gewisse lila Briefe mit grüner Schrift legte Sowtschick auf einen besonderen Haufen, die würde er lesen, wenn er ganz zur Ruhe gekommen war. Dabei drehte er, wie Pferde das tun, ständig ein Ohr in Richtung Dorf, ob sich das Motorrad nähert oder entfernt. Mal neugierig war Sowtschick, ob es an diesem Abend mit dem vereinbarten Lebensstil klappte, ob der junge Herr es kapiert hatte, daß hier auch Abendbrot zu machen sei.
Auch beim Abendschwimmen, den Gang hinauf-hinunter, war er ganz Ohr – er reckte seinen Kopf aus dem Wasser, damit er es mitkriegte, wenn der Fremdling sich wieder in seine Gesellschaft begab und seine Arbeit täte, wie es ausgemacht war. Ein langes schwarzes Haar schlang sich beim Schwimmen um seine Finger. Das war aber auch alles.
Vielleicht, dachte er, wäre die Juristin doch die bessere Lösung gewesen. Ein kühles, zunächst unnahbares Geschöpf, gertenschlank, das sich seinen Pflichten nicht entzogen hätte, von Berufs wegen zur Korrektheit verpflichtet.
Beim Schwimmen dachte er auch an die Schulklasse, mit der das Wasser in Berührung gekommen war. Er stellte sich die mageren Körper vor, wie sie dahinsprudelten. Kraulen – das hatte er nie hingekriegt.
Als er eben aus dem Wasser gestiegen war, klingelte das Telefon. Zwei junge Mädchen waren am Apparat, die wollten Apahasi sprechen, ob der da wär? Das wär so schick gewesen, daß er ihnen das ganze Haus gezeigt hätte … Marita habe ihr Armband liegengelassen, ob er ihr das wohl nachschickte? Nach Holzminden? Vom Dichter war nicht die Rede.
Nachdem Sowtschick längst sein improvisiertes Abendbrot zu sich genommen hatte, auch mit den Hunden gegangen war und im Fernsehen von Gewerkschaftssachen Kenntnis genommen hatte sowie vom Hürdenlauf der Damen auf dem Sportfest in Hannover, als er bereits am Klavier saß und halbwegs befriedet seine Abendmusik machte, von Rubinstein kopfnickend ermuntert, erschien der Inder, ein Schmalzbrot in der Hand. So plötzlich stand er hinter dem träumenden Sowtschick, daß der zusammenfuhr. In tadellosem Deutsch fragte er in die «Jagdsonate» hinein, ob Sowtschick viel Klavier spiele, in Indien würde ganz andere Musik gemacht, diese hier käme ihm recht barbarisch vor.
Nun, dies war nicht die Ansicht von Sowtschick. Barbarisch? Wie sollte man das denn verstehen? Auch wenn jener, einem anderen Kulturkreis zugehörige Mensch die Musik nicht mochte, ablehnte sogar, so war «barbarisch» jedenfalls das falsche Wort.
Als Hausherr hat man das Recht, auch mal was zu sagen. In den Redefluß des Fremdlings hinein, der ihm den Zusammenhang von Kampf und Musik erklären wollte, sprach Sowtschick vom Quintenzirkel, wie raffiniert der sei, wie genial, wie unglaublich großartig. Nach Klavierstimmerart schlug er Quinten und Quarten an, wies auf die Verwandtschaft zwischen Es-Dur und c-Moll hin und sprach von Paralleltonarten und Dominantseptakkorden. Je länger Sowtschick das tat, desto weiter weg schien der Inder zu sein, wobei er physisch immer näher rückte, so daß Sowtschick das kaneelartige Aroma dieses andersartigen Menschenkörpers in die Nase stieg. Apahasi Singh lehnte abendländische Musik ab, soviel war zu hören. Er lächelte verständnislos und lief schließlich davon.
Sowtschick klappte das Klavier zu – sechsunddreißig schwarze und zweiundfünfzig weiße Tasten – und gleichzeitig klappte er damit die Werke Bachs, Beethovens und Mozarts zu; Präludien, Fugen und Sonaten, begraben für alle Zeit.
Er kehrte an den Fernsehapparat zurück, wo um diese Zeit ein englischer Kriminalfilm kommen sollte, «Die teuflische Falle», auf den er sich schon lange gefreut hatte.
Kaum saß er vor dem Gerät, da stand der Inder schon wieder hinter ihm. Er hatte eine Flöte in der Hand, ein kleines Rohr mit sieben Löchern, und begann ohne weiteres, den Rücken zum Bildschirm, liturgisch-strenge Intervalle zu blasen. Die Hunde kamen gelaufen und machten auf eine Weise Männchen, wie sie es bei Sowtschicks abendländischer Musik nie taten. Während der kostbare Krimi
Weitere Kostenlose Bücher