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Hundstage

Hundstage

Titel: Hundstage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Kuhstall.

    Sie wollten sich mal eben das «Fron-Hus» ansehen! rief Sowtschick hinüber, in großer Sorge, daß dieses Menschenwrack womöglich näher kommen und unästhetisch grinsen könnte, vielleicht speicheln oder gar rotzen?

    Das Menschenwrack zeigte keine Neigung, sich zu äußern, es verschwand, wie es sich das vorgenommen hatte, im Kuhstall.

    Improvisierend erklärte Sowtschick den Mädchen die ganze Anlage, das Prinzip des Fachwerkhauses, die westfälischen Einflüsse und das «Städtische» daran, den mit einem kleinen Dach versehenen Brunnen, der ursprünglich ein Ziehbrunnen gewesen war, und den Eichenwald hinter dem Haus, in dem Schweine lagen, daß der dazugehört.

    Der Figurenschmuck des Giebels war originell, derbe Kobolde, die das Maul aufrissen, die Zunge zeigten oder den Hintern.

    Do du dat dine,
Gott deiht dat sine

    stand über dem Tor.

    Im Innern der Scheune war die Eichenbalkenkonstruktion zu bewundern, von sachlicher, ja geradezu logischer Schönheit. Wie in einer Kirche sahen die Mädchen hinauf bis in den First: Dieses Bild würden sie nie vergessen, das versicherten sie einander immer wieder.

    Einen Teil des «Fron-Hus» hatte der Bauer zum Schweinestall umgebaut, das war weniger erfreulich. Im Augenblick waren die Schweine draußen, außer einer Sau mit elf, zwölf, dreizehn Ferkeln, die Adelheid süß fand. Sie griff sich eins, nahm es auf den Arm und küßte es. Das kleine Tier schaute sie aufmerksam an mit seinen klaren Augen. Ihm mochte etwas dämmern von der Kraft menschlicher Liebe. Wie gut, daß die Mädchen den debilen Knecht nicht sahen, der im Geräteteil stand und sie durch die Bretterwand beobachtete.

    Sowtschick fuhr mit seinen beiden Freundinnen, die sich wunderten, daß es vor so langer Zeit schon ein «Frauen-Hus» gegeben habe, noch ein wenig durch die Gegend. So war es ja nicht, daß hier nichts losgewesen wäre. Die Wassermühle am leider versumpften Bach, mit bunten Plastikstühlen für Ausflügler, die Reste des Hünengrabes mit dem Schild: «Hünengrab», das im vorigen Jahrhundert bereits zur Gewinnung von Steinen für den Straßenbau in die Luft gesprengt worden war. –Das Löwenheckerchen ergänzte die Besichtigungstour durch seine Kenntnis von Katen und Schuppen aller Art. Immer wieder mußte Sowtschick anhalten, und Gabriele erläuterte dann, wieso der windschiefe Schuppen da drüben so extrem schön sei.

    Auch nach Hamersiek fuhr Sowtschick die Mädchen, an fahlgelben erntereifen Feldern vorüber. Hier eine abgewrackte Windmühle, der sie die Flügel ausgerissen hatten, dort eine Eichenallee mit weißen Strichen am Stamm, damit die betrunkenen Bauern nicht dagegenfahren, zerrissene Plastikplane im Graben. Statt eines Gebirges standen die wunderbarsten Quellwolken über dem Land.

    Das Haus des hingemeuchelten Zahnarztes war verlassen. Die Fenster geschlossen, die Rollos heruntergezogen, am Zaun hing ein Schild

    Immobilien-ZELK
Tel.: Kreuzthal 758

    Die Tochter hatte damals auf Susi herabgesehen, in der «Ori», doch das war lange her. Einen Augenblick überlegte Sowtschick, ob er mit den Mädchen, die es schauderte, ins Haus einsteigen sollte, wie die Mörder es getan hatten? Er hatte schon die Pforte geöffnet, doch er ließ es lieber. Vermutlich war hier alles noch versiegelt? Oder? Eben mal hinters Haus gucken? Die Terrassentür: Da sind sie eingestiegen! – Die drei sahen in die Fenster hinein, drinnen war alles leer. Dies war ein Mörderhaus, und es sah aus wie alle andern.

    In der Nachbarschaft bewegten sich die Gardinen, als Sowtschick um das Haus herumging: Das waren die Menschen, die damals in der schrecklichen Nacht so fest geschlafen hatten.

    Von Hamersiek aus fuhr Sowtschick nach Kreuzthal: die Klosterkirche besichtigen. Die verwaschenen Fresken an den Pfeilern, die Fünte aus dem dreizehnten Jahrhundert, der Kreuzgang, die Zellen in Sargform, die Reste des von den Franzosen mutwillig zerstörten Beinhauses.

    Das hätten sie nicht ausgehalten, in so einem Kloster zu sitzen, sagten die Mädchen, und daß die Nonnen nur dreißig Jahre alt wurden, durchschnittlich? – Sie nahmen Ansichtskarten aus dem Ständer und steckten das Geld dafür in den Schlitz. Die Heilsschriften – «Auch du brauchst Jesus» – ließen sie stehen.

    Danach fuhren sie ins Parkhotel, wo es nach gebratenem Geflügel roch. Ziemlich zu gleicher Zeit traf eine Hochzeitsgesellschaft ein. Das war ja nun ein seltsamer Anblick, die kleine Braut ganz im alten Stil,

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