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Hundstage

Hundstage

Titel: Hundstage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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könnte man die kleine Truppe für den Nachmittag zum Kaffee einladen? überlegte er, während es weiterhin aus ihm herausredete, dumm nur, daß grade die Schwiegereltern da waren …

    Sowtschick pries Gott, daß er kein Pfarrer geworden war. Es hatte eine Zeit gegeben, in der es erwogen worden war, Theologie, ob das nicht was für ihn wär. Letztlich war er davon abgekommen, weil ihn die Kirche in Zeiten höchster Not mit fünf Mark abgespeist hatte und mit einer alten Jacke.

    Sowtschick ließ die Gedanken schweifen, so wie es die Mädchen taten und die Bauern. Und diese Gedanken stiegen gebündelt gen Himmel. Ein Segelflugzeug hätte sie als Thermik zu spüren bekommen. Als Sowtschicks Blick auf die Reliefs der sieben Märtyrer fiel, dachte er: Kopf abschlagen, das könnt ich aushalten, oder aufhängen, womit die ersten beiden Bilder abgetan waren. Da war das Rösten schon ein anderer Schnack. Beim Grillen die Brandstriche auf dem Fleisch … Er dachte auch an Ohltrop und seine Mörder, und er stellte sich das Verbrechen recht drastisch vor. – Linsen mit Lungwurst müßte man auch mal wieder essen, das fiel ihm ein, und er beschloß, mit den Mädchen heute nach Kreuzthal zum Essen zu fahren.

    Wie gut es sei, verkündete Sehgras zum Schluß der Predigt und wich damit von seinem Konzept ein wenig ab, daß die Literatur der Be-Er-De jetzt allmählich aufwacht und ihren Platz als Vorkämpfer gegen das sich ausbreitende Elend tapfer einnimmt …

    Lied, Gebet, Lied, und dann traten vier unterschiedlich große, schäbig gekleidete Konfirmanden vor den Altar und riefen aufrüttelnde Sprüche in die Gemeinde, während vier andere mit Klingelbeutel von Bank zu Bank gingen und Pfennige abkassierten. Sowtschick verteilte ein paar Groschen an seine Begleiterinnen und freute sich, daß er so weit hinten saß. Das erleichterte das Wegkommen.

    So schnell Pastor Sehgras nach dem Schlußgebet auch um die Kirche herum zum Ausgang eilte, Sowtschick doch noch zu erwischen und ihn und die Seinen zum Nachmittag auf ein Kaffeestündchen einzuladen – eine Händeschüttelung fand nicht statt, Sowtschick und die Mädchen saßen schon im Auto und brausten davon.

    Sehr traurig war auch der Schulmeister, der hätte den beiden «sauberen Deerns» gern die Orgel erklärt, mit all den verschiedenen Stöpseln, die man raus-und reinschieben kann. Diese sauberen Deerns waren so ganz anders als die verrohte Dorfjugend, der man mal mit dem Knüppel kommen müßte. Warum nur, warum war sein einziger Sohn ein solches Monstrum? Womit hatte er das verdient? Und Haß regte sich in ihm auf all die schönen, lieben Menschen, die in hellen Kleidern fröhlich durch die Welt spazierten, womöglich Hand in Hand.

    Der Pastor sei an und für sich ganz in Ordnung, sagte Sowtschick zu den Mädchen. Da drüben das «Fron-Hus», zum Beispiel, das wiederherzustellen, da wär der Pfarrer mächtig am Agieren. Die Bauern seien bereits aufgewacht, die wollten das Haus jetzt restaurieren in Eigenarbeit, den Putz abklopfen vom Fachwerk, die morschen Balken ersetzen! Im Wald gäb’s ein Hünengrab, zehntausend Jahre alt, «Fron-Hus» und Hünengrab, diese beiden Relikte alter und ältester Zeit könnten eines Tages die Klammern sein, die das ganze Dorf zusammenhalten.

    Sowtschick fuhr auf den Hof von Jan Burmeester, und da stand es, das stattliche «Fron-Hus», etwas abseits, so als gehöre es nicht zum Hof, eine große Linde davor, gewiß schon über hundert Jahre alt: nicht gerade Knochenhauer-Amtshaus, aber doch so ähnlich: Der spitze Giebel ragte in übereinanderkragenden Etagen vor, und das Fachwerk war mit allegorischen, aber auch sehr realistischen Schnitzereien versehen.

    In früheren Jahrhunderten waren in dieser riesengroßen Scheune die Naturalabgaben der Bauern gesammelt worden. Nach dem Untergang des Grafengeschlechts hatte der Urahn des jetzigen Hofbesitzers sie billig erwerben können. Und nun stand sie noch immer da, etwas seitab, das Schnitzwerk zehnfach mit Farbe überkleistert, das Reetdach mit Eternitplatten ausgebessert, aber nach wie vor majestätisch, so könne man sagen, und etwas etepetete. Das Freilichtmuseum Ippelhörn fragte immer wieder an, ob man das Haus nicht abbrechen und dort wieder aufbauen könnte, was einen Schrei der Entrüstung ausgelöst hatte.

    Der Hof war jetzt am Sonntag sauber gefegt. Hühner und Enten watschelten herum, Elstern schossen darüber hin. Ein debiler Knecht, gebückt und ausgelaugt, schlurfte zum

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