Hundstage
und der Bräutigam mit Gipsbein! Und dann all die nicht zueinanderpassenden, aufgetakelten Verwandten in Roben oder schlechtsitzenden Anzügen.
Zwei kleine Mädchen gingen vorneweg, die leeren Blumenkörbchen im Arm, das war noch das Netteste.
Sowtschick rechnete sich diesen Aufzug als Verdienst an, er freute sich, daß er den Mädchen etwas bieten konnte: Das «Fron-Hus», die Ohltrop-Villa und nun noch eine ländliche Hochzeit? Er hatte keine sündigen Gedanken, als er die Braut sah, aber er mußte an das Laken denken, das im Mittelalter den Gästen vorgezeigt wurde. «Three Coins in the Fountain …» Und dann kam ihm das Bild einer Beerdigung, die Leiche ganz in Weiß …
Der mit Aquarien umgebene Ecktisch war noch frei. Sowtschick warf seine Jacke auf das Sofa, damit sich nicht im letzten Moment noch jemand dorthin setzte. Das Essen wurde noch halb im Stehen bestellt, sonst müßte man womöglich warten, bis die Hochzeitsleute ausgegessen haben. Störend war es, daß Dr. Schmauser am Nebentisch saß mit den Seinen. Ignorieren? Hinlaufen? Am besten: Gute Erziehung demonstrieren, den Oberkörper nach Art von Korpsstudenten einknicken und dann woanders hingucken, eine ganze Stunde lang. Wie gut, daß man nicht Arzt war, da würden einem jetzt die Dreckwürstchen einfallen, die man den Bauern aus den Ohren spült.
Die Lungwurst war großartig, das Gespräch, in dem die Schlosser schwerstens angeklagt wurden, lebhaft, und der Mittagsschlaf tief, Sowtschick konnte gar nicht wieder wach werden.
A m Nachmittag, während die Mädchen mit Michaels Luftgewehr auf Blechbüchsen schossen, setzte sich Sowtschick an seinen Roman. Er nahm das Manuskript zur Hand und blätterte darin. Wie sich alles zum Ganzen fügt, dachte er, wie sie sich die goldenen Eimer reichen …
Do du dat dine,
Gott deiht dat sine.
Ja, er mußte Fleiß und Ausdauer aufbringen, dann würde der liebe Gott auch nicht aufhören, ihm Ideen zu senden.
Beim Antiquitätenhändler war er stehengeblieben, die blonde Verkäuferin, die sich ins Schaufenster beugt und Bleisoldaten auf die Burg stellt. Er sah Fingerling eintreten in den kleinen Laden, er hörte das Tür-Glockenspiel und das polternde Ausklopfen der schweren Schuhe, unter denen sich Schnee festgesetzt hat: Fingerling hat sich bereits angefreundet mit der Frau, er genießt Sonderrechte. Im Hinterzimmer sitzt er auf einem Louis-seize-Sessel, und die junge Frau sitzt daneben mit Pulswärmern um die kräftigen Handgelenke, dunkelblond, voll innerer Heiterkeit … Und Fingerling sieht sich und sie in einem goldgerahmten Spiegel, der an der Wand lehnt: kleine indische Holzfiguren und verschiedenfarbige Glaskugeln in Gläsern, ringsum zur Dekoration.
Sowtschick sagte laut: «Ja! So ist es gut!» Und er schrieb das alles, ohne lange zu fackeln, nieder: Das gibt mindestens zwei Druckseiten, dachte er und geriet nebenbei ein wenig ins Träumen, daß Fingerling vielleicht das eine oder andere billiger würde erwerben können, wenn er auf vertrautem Fuß mit der jungen Frau stünde.
Zwei Druckseiten. Das war mehr, als man erwarten konnte. Obwohl die Sache, das wußte Sowtschick natürlich, noch auf eine höhere Ebene gehoben werden mußte, schärfer eingestellt, ins Psychologisch-Allgemeingültige einmündend oder, besser gesagt, einrastend. Den Zeitbezug, der hier noch fehlte, von der Welt sehnlichst erwartet, die Erwähnung von Asylanten zum Beispiel, würde er schon noch einarbeiten. Das wäre noch das wenigste. Und was das Dichterische anging: Die Sache mit dem Spiegel, daß sich die beiden plötzlich im Spiegel sehen – Pulswärmer um kräftige Handgelenke – , wahrscheinlich saß da der sogenannte Hammer.
Daß die Stadt in seiner Vorstellung noch immer menschenleer war, störte ihn nicht. Ihm war so, als existiere hinter dem Antiquitätenkabinett, in dem Fingerling mit der jungen Frau jetzt Kaffee trank, zwei, drei Stufen abwärts, eine kryptenhafte Angelegenheit, voll Urväterhausrat und sakraler Kostbarkeiten, Altarfiguren, romanischer Kapitelle, alles über-und untereinander. Und hinter dieser Krypta weitere Krypten und Gelasse, die ganze Stadt von Katakomben unterhöhlt, von einem Saal zum andern führend, voll herrlichster Antiquitäten, die Sowtschick allesamt hätte haben mögen.
«Vergiß das beste nicht!» sagte Sowtschick laut. Er dachte an das dreizehnte Zimmer im Märchen. Das durfte er nicht betreten, das würde ihn vernichten. Und doch – wenn er es nicht beträte,
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