Hundsvieh - Kriminalroman
ihn, setzen Sie sich doch in die Halle.«
Einige ältere Badegäste blättern in Zeitschriften und trinken aus großen Gläsern das schweflige Wasser, das aus einem Brunnen plätschert. Ich setze mich ans Fenster.
Dschipi Keller hastet den Gang entlang, füllt ein Glas mit Wasser und kommt zu mir an den Tisch. »Trinken Sie das, es hilft bei Ihrem Ausschlag.« Einige Badegäste haben beim Wort ›Ausschlag‹ den Kopf gehoben und schauen nun neugierig zu uns herüber. Keller senkt die Stimme. »Haben Sie Barbla gefunden?«
»Sicher, Sie will sich mit Ihnen treffen und zwar …«
Eine Tür geht auf. Christine Peters erscheint mit einer Dame und drei dunkel gekleideten Herren. Sie zeigt in die Runde, erklärt etwas.
»Kommen Sie um neun zu mir, ich wohne hinter der Krone«, zischt der Therapeut kaum hörbar. Und lauter: »Trinken Sie! Das Wasser wird Ihnen guttun.« Dann ist er weg. Christine verschwindet mit ihrer Delegation im Bädertrakt. Ich nehme einen großen Schluck. Es ist widerlich! Aber was tut man nicht alles für die Gesundheit.
Marta Caduff sitzt über einen Stapel Papiere gebeugt in der Wirtsstube der Pension Aurora. »Na, Mettler, wie geht’s Barbla?«
»Ausgezeichnet, sie hat mich mit Steinen empfangen.« Ich beginne, den Tisch fürs Abendessen zu decken. »Die Geschichte mit Anna hat sie mitgenommen.«
Frau Caduff steht auf. »Sie waren gute Freundinnen. Aber was soll man da machen? Die jungen Leute …« Sie verschwindet in der Küche. Pfannen klappern. Dann kommt sie mit der Suppe zurück. »Verstehen Sie etwas von Geld?«
Ich schenke den Wein ein. »Sehe ich so aus?«
Sie schüttelt den Kopf. »Ich auch nicht, sonst wäre ich nicht so in der Klemme. Belasch hat hier im Haus einige Arbeiten ausgeführt, ich kann im Moment nicht bezahlen, meine Parzelle beim Tunnel habe ich als Sicherheit hinterlegt, die werde ich nun wohl verlieren.«
Tunnel? Meine Neugier ist geweckt. Wollte Barbla sich nicht in der Nacht mit Dschipi bei einem Tunnel treffen? Um vier Uhr morgens?
»Was ist das für ein Tunnel?«
»Der Bau des Vereinatunnels zwischen Klosters und dem Engadin betraf am Anfang auch uns. Vor einigen Jahren wurde auch vom Val Pers her gebohrt, hier wurden große Mengen das Aushubmaterials zwischengelagert, wir Landbesitzer bekamen eine stattliche Prämie von der Rhätischen Bahn. Das waren goldene Zeiten für uns. Nun arbeiten die Tunnelbauer tiefer im Berginnern. Seither ist nie mehr so viel Geld ins Tal geflossen.« Sie seufzt.
»Und dieser Tunnel …«
»Dient in Zukunft als Fluchtstollen für den Vereina. Die Schienen sind intakt. Gerade vor drei Wochen wurden sie von einem Bautrupp gewartet.«
»Sie sind hier hinten also mit einer Hauptlinie der Rhätischen Bahn verbunden?«
Sie nickt. »In einigen Jahren werden wir in der Nähe des Portals hören, wie die Züge durch den Vereina donnern.«
»Sind Ihre Geldprobleme nicht erledigt? Belasch ist flüchtig, möglicherweise ein Mörder, da haben Sie doch Ruhe, oder?«
»Heute war Pit Niggli hier, der Anwalt von Belasch. Er hat mich darauf hingewiesen, dass ich übermorgen bezahlen muss, sonst wird das Grundstück automatisch überschrieben.« Frau Caduff legt seufzend den Löffel weg. Auch mir ist der Appetit gründlich vergangen.
Vor der Krone stehen zwei dunkle Mercedes und der weiße Geländewagen von Christine. Die Tourismusdelegation verpflegt sich also. Bündner Spezialitäten, Gerstensuppe, Pizokels, Maluns und Malanser oder umgekehrt. Und danach ein großes Stück Nusstorte, dazu einen Grappa oder einen Churer Röteli. Alles auf Staatskosten.
Das Haus hinter der Krone ist baufällig und schäbig. Ich klopfe. Niemand öffnet. Die Tür ist nicht verschlossen, ich trete ein. »Hallo, ist jemand zu Hause?«
»Kommen Sie rein, ich bin hier oben.«
Also steige ich die dunkle Treppe hinauf und trete in ein kleines Schlafzimmer. Ein Bett mit Eisengestell, ungemacht. Dschipi Keller lehnt am Schrank und kratzt sich am Oberarm.
»Na, auch Ausschlag?«
Er schüttelt den Kopf. »Wo soll ich Barbla treffen?«
»Beim Tunnel. Um vier Uhr in der Nacht. Gehen Sie hin?«
Keller verdreht die Augen, schweigt und kratzt sich wieder.
»Sie sind wohl kein Nachtmensch, oder?«
Wieder schaut er mich mit einem merkwürdigen Blick an. »In der Nacht habe ich Angst.«
»Immer noch fertig wegen Anna? Na gut, dann geh ich wohl am besten wieder, ich sehe Sie dann morgen in der Therapie.«
»Gute Nacht.« Keller kratzt sich weiter, seine
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