Hundszeiten: Laura Gottbergs fünfter Fall
Obdachlose erschlagen! Außerdem ist er kein wildfremder Mann!»
«Was dann?»
«Ein Bekannter, jedenfalls jemand, den ich gut genug kenne, um ihn hier schlafen zu lassen. Ich habe meine Zimmertür abgeschlossen, wenn dich das beruhigt. Wie komme ich eigentlich dazu, einem italienischen Macho zu erklären, wen ich in meiner Wohnung übernachten lasse und wen nicht?» Das mit dem italienischen Macho hatte sie ganz sanft gesagt, mit einem Augenzwinkern. Dabei strich sie mit einem Finger vorsichtig über seine weichen Bartstoppeln und über seine Oberlippe. Und er fragte sich, woran es lag, dass zwischen ihnen auf leichte, beinahe selbstverständliche Weise dieses erotische Knistern erwachte, das er so liebte. Er vergrub sein Gesicht an ihrem Halsansatz und murmelte: «Weil dieser italienische Macho ganz wild auf dich ist und du auf ihn und weil du dich darüber freust, dass er eifersüchtig ist, Commissaria.»
«Meine Mutter hat mich stets vor italienischen Männern gewarnt.»
«Sie war Florentinerin, sie musste es wissen …»
«Würdest du ihr zustimmen?»
«Naturalmente!» Guerrini zog Laura auf den Boden und schob mit einer ausgreifenden Bewegung das Buch über Neonazis und das Fremdwörterlexikon zur Seite.
Später saßen sie nebeneinander auf dem Teppich, den Rücken an das Sofa mit den Sonnenblumen gelehnt, und tranken eiskalten spanischen Sekt, den Laura stets für spezielle Ereignisse im Kühlschrank aufbewahrte. Manchmal dauerte es ein halbes Jahr, ehe er geöffnet wurde.
«Ich habe auf diesem Teppich geschlafen, während du im Treppenhaus gewartet hast.»
«Erzähl mir von letzter Nacht.»
Laura verschloss die Flasche mit einem Ersatzkorken, lehnte sich zurück und genoss das prickelnde säuerliche Getränk. Mit den Fingern kämmte sie ihr Haar, das inzwischen trocken war. Noch immer spürte sie warme wohlige Lust in ihrem Körper, und die vergangene Nacht erschien ihr sehr weit weg.
«Bist du hier als Commissario oder als Liebhaber?»
Er lächelte, stellte das Sektglas ab und beugte sich zu ihr. «Als Liebhaber, der wissen will, weshalb du mich zum ersten Mal gebeten hast, zu dir zu kommen. Es muss etwas ganz Außerordentliches sein, hab ich recht?»
«Ich weiß es nicht … Vielleicht hat es etwas damit zu tun, dass ich seit zwei Wochen endlich ein bisschen Zeit für mich habe. Da war plötzlich Raum für Leere und Erinnerungen. Und dieser ungelöste Fall Dobler, die Begegnung mit Ralf …»
«Erzähl mir von letzter Nacht, Laura.»
Er schenkte ihr ein zweites Glas Sekt ein, küsste sie sanft und sog dabei ihre Unterlippe ein. Laura erwiderte seinen Kuss mit einem leichten Biss, trank einen winzigen Schluck und versuchte sich zu konzentrieren.
«Für mich kam diese nächtliche Schlacht nicht ganz unerwartet … vielleicht hat es tatsächlich etwas mit dieser furchtbaren Hitze zu tun. Alles erscheint mir extremer, sogar mein eigenes Verhalten. Und letzte Nacht war es wie Bürgerkrieg … in unserer so wunderbaren Stadt, die ansonsten eine Oase des Friedens ist, ein Vorzeigeobjekt für ganz Deutschland und Europa. Plötzlich tauchten von allen Seiten Menschen auf, die nichts anderes wollten, als sich gegenseitig die Köpfe einzuschlagen. Erst kämpften alle gegen die Neonazis, aber dann kam es mir vor, als ginge es nur noch um eine Art gewalttätiger Entladung, ja Mordlust!»
«Und du, was hast du gemacht?» Guerrini beobachtete sie so aufmerksam, dass es sie ein bisschen unsicher machte.
«Ich stand auf der Brücke und habe zugeschaut. Es kam mir ganz unwirklich vor, wie ein Film. Ein junger Kollege hat wohl ähnlich empfunden, weil er von den ‹Gangs of New York› redete. Ich wusste, dass ich nichts machen konnte, absolut nichts. Es passierte einfach.»
«Und weiter?»
«Nichts weiter. Wir folgten dem Anführer der Neonazis. Ich war froh darüber, irgendwas tun zu können, diesen unwirklichen Bürgerkriegsszenen zu entkommen. Danach kamen endlose Verhöre. Das kennst du ja. Die meisten sagen wenig bis gar nichts. Sie kriegen irgendwann irgendein Verfahren an den Hals, Geldstrafen, Bewährungsstrafen. Wer weiß. Das ist mir auch egal. Mir macht Angst, was dahintersteckt.»
«Weil du es nicht verstehst?»
«Eher, weil ich es zu gut verstehe und gleichzeitig überhaupt nicht.»
«Sei cambiata, Laura? Hast du dich verändert?»
«Vielleicht.» Sie lehnte den Kopf zurück und schloss die Augen. «Früher war ich wohl vor allem neugierig. Ich wollte wissen, warum manche
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