Hundszeiten: Laura Gottbergs fünfter Fall
vielleicht noch Rettung gibt!»
«Natürlich», murmelte Laura und wünschte sich weit weg.
«Was – was machen Sie eigentlich hier?», fragte die Frau mit kleiner Stimme. «Sie sind doch Hauptkommissarin. Das ist ziemlich ernst, oder?»
«Nicht so ernst, wie Sie meinen. Reine Routine.» Laura überlegte kurz, ob sie die Sonderbestimmungen für ältere Tote aufgrund der extremen Hitze erklären sollte, ließ es aber bleiben. Die Sache mit dem Notarzt reichte schon, und die galt immer, auch bei kaltem Wetter. Allein diese Bestimmung hatte sicher schon unzählige Schrecken noch schrecklicher gemacht, Trauer noch tiefer, Abschiede noch schwerer.
«Erzählen Sie mir einfach, was geschehen ist, und dann lasse ich Sie in Ruhe. Vielleicht kann ich erreichen, dass Sie einige Zeit mit Ihrem Vater verbringen können.» Jäh sah Laura sich selbst in dieser Situation. Man verweigerte ihr den Abschied von ihrem eigenen Vater, weil er ein Opfer der Hitze wurde und sie ihn gefunden hatte. Vermutlich würde sie um sich schlagen. Plötzlich verabscheute sie das grundsätzliche Misstrauen ihres Berufsstandes gegenüber allen Mitmenschen.
«Ich habe meinem Vater heute Morgen das Frühstück gebracht, aber er hatte keinen Hunger, trank nur seinen Tee. Sonst war er ganz normal … fragte, ob ich gut geschlafen hätte, und jammerte ein bisschen über die Hitze. Er wollte die Zeitung lesen und dann noch ein bisschen dösen. Aber als ich später nach ihm schaute, da …» Ihre Stimme brach. Die Knöchel ihrer Hände traten weiß hervor, so fest umklammerte sie die Stuhllehne.
Laura ließ ihr Zeit, ließ sich selbst Zeit, ging zu einem der hohen Fenster und schaute in den winzigen Garten hinaus. Eine Amsel badete in einer Tonschale, schüttelte ihr Gefieder und versprühte funkelnde Brillanten im Sonnenlicht.
«Ich bin bei ihm geblieben, bis der Notarzt kam. Vielleicht hätte ich ihn beatmen sollen, aber … Ich konnte einfach nicht. Ich saß einfach neben ihm und hielt seine Hand. Und dann kam der Arzt, sagte, dass mein Vater tot sei, und rief die Polizei.»
Laura schaute noch immer der Amsel zu, die jetzt auf einem Mäuerchen saß, ihre gespreizten Flügel hängen und sich von der Sonne trocknen ließ.
«Wohnen Sie bei Ihrem Vater, oder ist das Ihr Haus?», fragte sie leise.
«Es ist unser Haus. Es gehört mir und meinem Mann. Wir haben meinen Vater zu uns genommen, seit er ein Pflegefall ist.»
«Wie lange ist er schon ein Pflegefall?»
«Seit acht Monaten – ungefähr. Er hatte einen Schlaganfall und konnte kaum noch laufen. Warum wollen Sie das alles wissen?»
«Es tut mir wirklich sehr leid, dass ich solche Fragen stellen muss. Sehen Sie, ich habe auch einen alten Vater, ich könnte sehr leicht in eine ähnliche Situation geraten, obwohl ich Hauptkommissarin bin.» Laura löste ihren Blick von der Amsel und drehte sich zu der jungen Frau um.
«Wirklich?»
«Ja, wirklich. Wie alt ist Ihr Vater?»
«Vierundachtzig.»
«Haben Sie einen Hausarzt, der Ihren Vater regelmäßig betreut?»
«Ja, natürlich. Doktor Jansen.»
«Dann rufen Sie ihn an und sagen Sie ihm, dass er herkommen soll. Wenn er bestätigt, dass Ihr Vater jederzeit einen neuen Schlaganfall bekommen konnte oder an Herzschwäche litt, dann wird sich die Situation schnell beruhigen. Wo ist übrigens Ihr Mann?»
«Auf Montage in Dubai. Seit zwei Wochen schon. Er ist Ingenieur.» Sie hielt sich ein Taschentuch vor ihre Nase. «Zweimal am Tag kommt der Pflegedienst», schluchzte sie.
«Geben Sie mir die Nummer Ihres Hausarztes, dann rufe ich an», sagte Laura. «Ruhen Sie sich ein bisschen aus.»
Jetzt werde ich meinen verehrten Chef aus seiner Ruhe aufschrecken, dachte Laura, als sie ins Polizeipräsidium zurückkehrte. Ohne Umwege eilte sie zum Büro von Kriminaloberrat Becker, missachtete die hochgezogenen Augenbrauen seiner Sekretärin sowie ihre abwehrenden Armbewegungen, klopfte kräftig an seine Tür und stand gleich darauf vor ihm. Blitzschnell zog er seine Beine unter den Chefsessel, um zu verbergen, dass er seine Schuhe ausgezogen hatte.
«Was gibt’s denn?»
«Die Sache mit den häuslichen Todesfällen bei älteren Menschen ist so nicht durchführbar! Man kann nicht alle Angehörigen mit Mordverdacht konfrontieren. Und außerdem ist das keine Aufgabe für die Kripo. Solange ein Notarzt oder Hausarzt keinen konkreten Verdacht äußert, haben wir bei solchen Todesfällen nichts verloren.»
«Weshalb regen Sie sich denn so auf, Laura? Die
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