Hundszeiten: Laura Gottbergs fünfter Fall
Stellen verwischt. Laura war gerührt von diesem ungeschickten Versuch, den Geschäftsleuten im anderen Leben nachzueifern. Gleich darauf sah sie ihn. Er trug einen breiten Strohhut mit vielen Federn drauf und wanderte vor sich hin murmelnd hinter seinem Anhänger auf und ab.
Zögernd ging Laura auf ihn zu, vor den liebevoll drapierten Steinen blieb sie stehen. In allen Farben lagen sie da, große, kleine, flache und runde, bemalte, polierte, unbehandelte. Wie oft hatte sie selbst gemeinsam mit ihren Kindern an der Isar Kiesel gesammelt. Laura legte einen flachen schwarzen Stein auf ihre Handfläche. Er fühlte sich wunderbar glatt an, war beinahe rund und ungewöhnlich groß.
«Was kostet der Stein?», fragte sie, als der unruhige Wanderer wieder hinter seinem Anhänger auftauchte. Wie vom Donner gerührt blieb er stehen, schob seinen Strohhut in den Nacken und starrte sie an.
«Nix!», stammelte er endlich. «Der is so schwarz wie dein Veilchen! Das passt!»
«Mein Veilchen ist lila, aber das kann man hier nicht sehen, weil es zu dämmrig ist. Krieg ich einen Kaffee?»
«Kaffee … ja klar! Komm rüber. Hier kannste dich hinsetzen. Ich mach den Kaffee!» Er rückte ihr einen Rohrsessel zurecht, der deutlich tiefer sank, als Laura sich behutsam niederließ.
«Mann!», murmelte er, «Mann, Mann, Mann!» Er begann wie wild in seinem Anhänger herumzukramen und förderte eine große zerbeulte Thermoskanne und zwei Plastikbecher zutage. Irgendwo fand er Pulvercappuccino. Er arbeitete verbissen daran, ein halbwegs präsentables Getränk herzustellen.
«Mir tut das echt leid, das mit deinem Auge!» Er reichte ihr einen der Plastikbecher und setzte sich halb in den Anhänger.
«Ist nicht so schlimm.» Vorsichtig trank Laura einen Schluck. Der Cappuccino war lauwarm und grauenvoll süß.
«Hätt nicht gedacht, dass du kommst.» Er schnitt eine verlegene Grimasse.
«Wieso?»
Er zuckte die Achseln und zog den Kopf zwischen die Schultern.
«Das sieht gut aus mit den Steinen. Verkaufst du viele?»
«Geht so.»
Lauras Korbsessel senkte sich Millimeter um Millimeter, seine Beine rutschten nach außen weg. Als sie besorgt nach unten schaute, sagte er: «Der hört bald auf. Das macht er bei mir auch.»
«Wie heißt du denn?», fragte sie.
«Ralf.» Er ließ den Steinmetz weg. Kam sich plötzlich blöd vor.
«Sonst nichts?»
«Reicht doch, oder?»
«Vielleicht.»
«Wie heißt du denn?»
«Laura.»
Er nickte vor sich hin, lachte plötzlich laut und schlug sich auf den Oberschenkel.
«Ich komm echt nicht drüber weg, dass du mit mir Kaffee trinkst.»
«Wieso denn?»
«Du kannst Fragen stellen. Ist einfach nicht normal!»
«Wenn du meinst.»
Eine Weile lang schwiegen sie, dann räusperte sich Laura.
«Wie lang wohnst du schon hier im Tunnel?»
Er zuckte die Achseln.
«Keine Ahnung. Hab kein Gefühl für Zeit. Aber ’n Monat isses sicher.»
«Hat niemand was dagegen?»
«Bis jetzt nich. Zwei Bullen warn mal da und haben gesagt, dass so was nicht geht. Aber die sind nich wiedergekommen.» Er grinste schief, zeigte seine Zahnlücke. «Man muss nur gute Nerven haben und clever sein, weißte! Nur dann kommste durch. Nerven und Köpfchen! Das isses!»
Wer hatte heute schon einmal so etwas Ähnliches gesagt? Karl-Otto Mayer. Er nannte es Mut und Intelligenz. Überleben in Extremsituationen. Sie konnte diesen Kaffee nicht trinken. Er schmeckte wie Trinkschokolade, vertrug sich einfach nicht mit dieser Hitze.
«Reicht das? Nerven und Köpfchen?»
«Na ja … und man muss natürlich wissen, wann man abhauen muss. Das ist auch wichtig. Rechtzeitig abhauen!» Er nickte heftig vor sich hin, drehte den Strohhut in seinen Händen und zupfte an den Federn herum. Es waren Hühner- und Krähenfedern. Laura fragte nicht, wie lange er schon auf der Straße lebte. Fand es zu vertraulich. Aber sie hätte gern gefragt. Er machte sie neugierig.
«Da hat wohl einer zu viele Spraydosen gehabt», sagte sie stattdessen und wies auf den Anhänger und die Tunnelwände.
«Is letzte Nacht passiert. War zum Glück nich da. Man kann ja nie wissen, was das für Kerle sind. Heut Nacht pass ich auf, das kann ich dir sagen. Und dann zeig ich die an, da kannste dich drauf verlassen!» Seine Stimme war immer lauter geworden, doch dann brach er plötzlich ab, als würde ihm in diesem Augenblick bewusst, dass er niemanden anzeigen konnte, dass sein Zorn im Nichts verpuffte. «Der Kaffee is scheiße!», murmelte er stattdesssen mit einem
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