Hundszeiten: Laura Gottbergs fünfter Fall
Kollegen gerade die weitverstreuten Figuren. Ralf lehnte an der Wand. Das Taschentuch, das er auf seine Nase drückte, war rot, Blut tropfte auf sein Hemd. Laura gab ihm noch ein paar frische Papiertaschentücher.
«Komm weiter! Mein Wagen parkt nicht weit von hier!»
Auf der anderen Seite der Unterführung hörten sie diesmal keine Gesänge, doch das Feuer loderte noch immer hoch. Laura konnte nicht genau erkennen, was da unten vor sich ging. Aus der Ferne, zwischen all den Schatten und flackernden Lichtern, wirkte es wie eine Versammlung, als konzentrierten sich alle auf etwas, das Laura nicht sehen konnte.
Wenn ich allein wäre, dann würde ich da runtergehen, dachte sie. Plötzlich empfand sie heftigen Zorn auf Ralf und hätte ihn am liebsten stehenlassen. Aber sie wollte wissen, warum er sie verfolgt hatte, außerdem musste sich jemand um seine Nase kümmern. Und das konnte in dieser Situation nur sie selbst sein. Natürlich könnte sie einen Krankenwagen rufen. Einen Moment lang erwog sie diese Möglichkeit, aber es würde zu viel Aufsehen erregen.
«Wir bewegen uns jetzt ganz normal, klar? Wir gehen über die Straße, in die Seitengasse gegenüber, und an der nächsten Ecke steht mein Auto.»
Ralf murmelte etwas Unverständliches, folgte ihr aber, ohne Widerstand zu leisten. Als sie den Dienstwagen erreicht hatten, holte Laura eine Decke aus dem Kofferraum und legte sie über den Beifahrersitz.
«Versuch dein Blut möglichst nicht im ganzen Wagen zu verteilen.»
Er machte keinerlei Anstalten einzusteigen, trat von einem Fuß auf den andern.
«Was ist denn?»
«Ich steig nich ein! Hältst mich wohl für blöd, was?»
«Wieso sollte ich dich für blöd halten?»
«Wenn ich einsteige, dann haste mich. Ich hab dich vorhin gesehen. Du warst unten bei denen. Ich bin euch nachgegangen.»
«So.»
«Ja, genau!»
«Und was is jetzt?»
«Ich weiß es nicht!» Er lehnte sich mit dem Rücken an den Wagen und beugte den Kopf nach hinten. «Mannomann, ich glaub, ich verblute!»
Laura öffnete den Erste-Hilfe-Koffer, rollte aus Mullbinden zwei Tampons und stellte sich neben Ralf.
«Hier! Steck dir in jedes Nasenloch eins. Und dann setz dich endlich hin und beweg dich nicht mehr!»
Er gehorchte wortlos. Mit den weißen Enden der Tampons, die bis über seine Oberlippe ragten, sah er aus wie ein Walross. Er ließ sich auf den Beifahrersitz sinken und schloss die Augen. Aber der Augenblick der Entspannung währte nicht länger als eine halbe Minute, dann saß er wieder aufrecht, mit aufgerissenen Augen.
«Fahr ja nicht los!»
«Doch, ich fahr jetzt los, und du machst die Tür zu!»
«Ich kann die Tür nich zumachen!» Seine Stimme klang höher als sonst.
«Warum denn nicht?» Laura ließ den Motor an.
«Ich krieg Platzangst, verstehst du! Platzangst!»
«Wir machen alle Fenster auf. Außerdem fahren wir nicht weit!»
«Es geht nicht!»
Laura stieg aus, lief um den Wagen herum und knallte die Beifahrertür zu.
«Das ist kein Witz, Ralf! Wir müssen hier weg! Vergiss deine blöde Platzangst und mach die Augen zu, bis wir wieder anhalten!»
Er schluckte und umklammerte mit beiden Händen seinen Rucksack. Laura fuhr los, nahm aber nicht den direkten Weg nach Hause, sondern fuhr einen kleinen Umweg über die Parallelstraßen zur Isar. Von der Schlägertruppe war nichts mehr zu sehen. Als sie nach zehn Minuten vor Lauras Haus hielten, hatten sich die beiden Tampons in Ralfs Nasenlöchern rot gefärbt, er selbst war in einen Zustand der Erstarrung gefallen.
Während Laura erleichtert feststellte, dass ihre kleine Seitenstraße still und menschenleer war, überlegte sie, was geschähe wenn ihr türkischer Nachbar sie mit Ralf im Treppenhaus sehen würde. Die andern im Haus würden es ohne Probleme hinnehmen, aber nicht Ibrahim Özmer. Sie musterte Ralf, der wie ein Standbild neben ihr saß, erwog, ihn in einer Obdachlosenunterkunft abzugeben, verwarf diesen Einfall aber wieder. Er würde es nicht aushalten. Aber sie konnte ihn in diesem Zustand auch nicht auf die Straße entlassen. Erst musste die Blutung zuverlässig gestillt werden.
Ihr Handy schnurrte. Sie zog es aus der Gürteltasche.
«Ja?»
«Florian hier. Ist alles in Ordnung?»
«Jaja. Bin schon fast zu Hause.»
«Gut. Wir bleiben noch hier. Da tut sich was.»
«Seid vorsichtig.»
«Natürlich. Wir melden uns.»
«Bis später.»
Sie lehnte sich kurz zurück, dachte: Jetzt! Steh auf und bring ihn irgendwie in deine Wohnung. Auch wenn es
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