Hundszeiten: Laura Gottbergs fünfter Fall
ihr der Übernachtungsgast wieder ein. Sie griff nach ihrem Morgenmantel, streifte ihn über, drehte den Schlüssel um und öffnete leise die Tür.
Er schnarchte. Sie musste gar nicht in die Küche gehen, um sich davon zu überzeugen, dass er noch da war. Auf Zehenspitzen schlich sie zur Toilette, danach ins Bad, wo sie kühles Wasser über ihre Arme laufen ließ und sich das Gesicht wusch. Sie hatte das Gefühl, als schwelle ihr Körper in der Hitze allmählich auf.
Laura sah sich um. In einer Ecke lagen tatsächlich Ralfs schmutzige Klamotten. Ein benutztes Handtuch hing über der Badewanne. Offensichtlich hatte er geduscht und sich umgezogen.
Sie bürstete ihr Haar, ohne sich dessen bewusst zu sein, legte die Haarbürste wieder weg, füllte ihren Zahnputzbecher und trank ihn leer. Auf dem Weg in ihr Schlafzimmer griff sie nach dem Telefon. Dann schloss sie wieder die Tür und setzte sich aufs Bett. Sie hatte das dringende Bedürfnis, mit Angelo zu reden. Jetzt, um zehn nach fünf. Noch nie hatte sie ihn zu einer so ungewöhnlichen Stunde angerufen. Wieso eigentlich? Wieso wollte sie ihn jetzt, um zehn nach fünf, aus dem Schlaf holen? Es gab überhaupt keinen Grund.
Doch, es gibt einen, dachte sie. Ich habe Sehnsucht nach ihm. Den zweiten Grund drängte sie weg, aber sie kannte ihn trotzdem. Sie fühlte sich seltsam verloren, ganz und gar nicht wie jemand, der weiß, wo es langgeht, und überhaupt nicht heftig. Sie fürchtete sich davor, ihn anzurufen, ihm zu erklären, warum sie ihn um zehn nach fünf sprechen musste.
Bis fünf vor halb sechs schaute sie das Telefon an, dann ließ sie sich rückwärts aufs Bett fallen, schloss die Augen und schlief sofort ein.
COMMISSARIO ANGELO GUERRINI wachte um halb sechs auf, weil er aus einem der Nachbarhäuser eine keifende Frauenstimme hörte. Er lag im sogenannten Gästezimmer seines Vaters, das nichts anderes war als sein ehemaliges Kinderzimmer. Guerrini schlief nicht besonders gut in diesem Zimmer. Zu viele Erinnerungen hingen in den Wänden und Möbeln. Nicht nur schlechte allerdings. Trotzdem bedrängten ihn seltsame Stimmungen, seit er vor einer Woche zum alten Fernando Guerrini gezogen war, weil er die Hitze in seiner Dachwohnung nicht mehr aushielt.
Mit einem gewissen Grauen dachte er zum Beispiel daran, dass seine Mutter fest daran geglaubt hatte, er würde nach der Trennung von seiner Frau Carlotta wieder nach Hause ziehen – in das ehemalige Kinderzimmer.
Fünf Beispiele aus befreundeten Familien hatte sie aufgezählt. Überall kehrten die Söhne wieder nach Hause zurück, wenn es mit den Frauen nicht klappte. Warum also er nicht? War er was Besonderes? Er würde regelmäßig was zu essen bekommen, seine Kleidung würde in Ordnung gehalten – das sei für einen Commissario schließlich besonders wichtig.
«Du wirst doch nicht etwa selbst waschen?», hatte sie ihn voll Entsetzen gefragt. «Und bügeln?! Willst du selbst den Boden wischen? Das Klo putzen? Einkaufen, kochen? Kannst du überhaupt kochen?»
Guerrini hatte sie nie davon überzeugen können, dass es auf dieser Welt auch Haushälterinnen gab, die nicht darauf aus waren, ihre Arbeitgeber zu bestehlen oder gar zu heiraten. Dass Carlotta und er während ihrer Ehe eine Haushaltshilfe beschäftigt hatten, weil Carlotta ebenfalls berufstätig war, hatte seine Mutter nie hinnehmen können.
Nein, Guerrini hatte niemals die Neigung gehabt, ein «Mammone» zu werden, wie viele seiner männlichen Landsleute. Sein Stellvertreter Lana war so einer, im Grunde eine lächerliche Figur mit seinen gestärkten Hemden, Bügelfalten und polierten Schuhen. D’Annunzio wohnte auch noch zu Hause bei Mamma, dabei war er schon vierundzwanzig. Dottor Salvia, der Gerichtsmediziner, war gerade von zu Hause ausgezogen. Ein bisschen spät zwar, fand Guerrini, denn Salvia war immerhin schon zweiunddreißig, allerdings hatte er in Florenz studiert und war nur vorübergehend bei seinen Eltern in Siena untergeschlüpft. Das war etwas anderes.
Während Guerrini flach auf dem Rücken lag und die alte Deckenlampe anstarrte, die er schon in seiner Kindheit angestarrt hatte, wenn er nicht schlafen konnte – es waren drei hellblaue Glasschalen in der Form großer Fische –, dachte er über seine Mutter nach, die sein Vater stets la strega , die Hexe, genannt hatte.
Sie war eine widersprüchliche Frau gewesen. Erst spät hatte Guerrini begriffen, dass sie neben seinem Vater ein völlig unabhängiges Leben lebte. Sie ließ
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