Hundszeiten: Laura Gottbergs fünfter Fall
natürlich in der Schule, um Englisch zu lernen.
«Wie geht’s Patrick?», fragte Laura.
«Very fine.»
«Any problems?»
«Nothing. Everything is fine.»
«Also with Luca?»
«Oh, Luca is perfect.»
Laura bedankte sich und beendete das Gespräch. Everything fine and perfect. Sie hatte keine Ahnung, wie es ihren «lovely children» wirklich ging. Wieder fühlte sie sich verloren. Sie streckte die Hand nach dem Telefon aus, um es noch einmal bei Angelo zu versuchen. Doch irgendwer kam ihr zuvor, es klingelte so schrill, dass sie zusammenzuckte.
«Gottberg.»
«Frau Hauptkommissarin, es gibt einen neuen Leichenfund. Wieder ein Obdachloser und wieder an der Isar.»
«Wo?»
«Ungefähr auf Höhe der Müllverbrennungsanlage Thalkirchen.»
«Links oder rechts der Isar?»
«Rechte Seite. Ein Hundebesitzer hat ihn gefunden.»
«Ich komme. Übrigens, habt ihr schon mal angerufen?»
«Nein, Frau Hauptkommissarin. Der Mann ist gerade erst gefunden worden. Die Spurensicherung haben wir schon angefordert.»
«Gut. Bis gleich.»
Langsam legte Laura das Telefon zurück, klopfte mit dem Fuß einen nervösen Rhythmus, ohne sich dessen bewusst zu sein.
Ich hätte den Kerlen nachgehen sollen! Ich wäre ihnen nachgegangen, wenn Ralf nicht dazwischengekommen wäre. Er hat wirklich ein besonderes Talent, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein. Aber noch ist alles unklar. Vielleicht ist er eines natürlichen Todes gestorben, vielleicht war er betrunken und ist gestürzt, vielleicht hatte er eine Rauferei mit einem Kumpel … Sie glaubte sich selbst nicht, stand auf, schaute an sich hinunter. Ausgerechnet heute trug sie dieses Leinenkleid. Normalerweise zog sie nie Kleider oder Röcke an, wenn sie im Dienst war. Ausnahmen bildeten nur Anlässe, bei denen sie irgendwelche Vorgesetzten irritieren wollte.
Aber warum eigentlich kein knallgrünes Leinenkleid? Andere Hauptkommissare erschienen im dunklen Anzug, um Leichen zu besichtigen. Also los. Es grauste ihr vor diesem Tag, der nicht besonders gut begonnen hatte und besonders heiß zu werden schien. Sie wies Claudia an, ihre neue Mini-Soko aus dem Bett oder sonst woher zu holen und so schnell wie möglich hinter ihr herzuschicken. Dann machte sie sich auf den Weg.
Er lag mit ausgebreiteten Armen am abschüssigen Ufer und starrte mit aufgerissenen Augen in den Himmel. Gestockte Blutlachen hatten sich in den Falten seiner Kleidung gesammelt, schwarzrote Tümpel, an deren Rändern sich Fliegenschwärme sammelten. Ein seltsamer Geruch schien über dem Toten zu hängen, wie im Schlachthaus, süßlich, warm, ekelerregend. Aber Laura war sicher, dass niemand außer ihr diesen Geruch wahrnahm. Sie schrieb ihn den Bildern zu, die in ihr aufstiegen. Bildern von ausblutenden Tierkadavern. Man hatte ihm die Kehle durchgeschnitten. Alle Hypothesen, die sie im Präsidium aufgestellt hatte, waren hinfällig.
«Aber nicht sofort», sagte Dr. Reiss, der alte Gerichtsmediziner, mit dem Laura schon seit Jahren zusammenarbeitete und der sie an diesem Morgen mehr denn je an eine Krähe erinnerte, die nur darauf wartete, wieder eine Leiche zu zerlegen. Plötzlich war sie froh über ihr knallgrünes Leinenkleid. Es setzte einen lebendigen Akzent gegen den Schlachthausgeruch, die rot-weißen Absperrbänder, die Kollegen in den weißen Overalls und gegen das spitzschnabelige Gesicht des Gerichtsmediziners, den sie eigentlich mochte – nur an diesem Morgen nicht.
«Wie?»
«Sie haben ihm nicht sofort die Kehle durchgeschnitten!»
«Vorher haben sie mit ihm gespielt, nicht wahr? Wie mit einer Schachfigur.» Laura ließ den Blick über die blutigen Schleifspuren im Gras wandern. «Dann wollten sie ihn in den Fluss werfen, aber irgendwer hat sie dabei gestört, und dann sind sie abgehauen.»
«Nicht schlecht», erwiderte der Arzt. «Aber wieso Schachfigur?»
«Weil ich letzte Nacht ein paar Kerle beobachtet habe, die nicht weit von hier mit Schachfiguren um sich geworfen haben. Kerle, von denen ich annehme, dass sie mit dieser Sache etwas zu tun haben könnten.»
Der Arzt musterte sie nachdenklich von der Seite. «Sie waren doch nicht etwa allein unterwegs, Laura?»
Sie schüttelte den Kopf. Bloß keine besorgten Ermahnungen!
«Was macht Ihr Auge? Darf ich es mir kurz ansehen?»
«Es ist so grün wie mein Kleid und wird demnächst gelb sein.»
«Meine Güte, es ist doch nicht ehrenrührig, ein blaues Auge zu haben. Seien Sie doch nicht so kratzbürstig. Sagen Sie mir lieber, ob
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