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Hundszeiten: Laura Gottbergs fünfter Fall

Hundszeiten: Laura Gottbergs fünfter Fall

Titel: Hundszeiten: Laura Gottbergs fünfter Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felicitas Mayall
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schluckte, Ines dagegen lächelte.
    Laura war schon auf dem Weg zu ihrem Dienstwagen, als ihr der dünne Mann noch einmal in den Sinn kam, der sich ständig übergeben musste. Sie kehrte um und fand ihn ziemlich weit weg von den andern am Ufer der Isar.
    «Das war kein guter Anblick, nicht wahr?», sagte sie vorsichtig und stellte sich neben ihn. Er antwortete nicht, schien schon wieder gegen seine Übelkeit anzukämpfen.
    «Kannten Sie Benno?»
    Der kleine Mann nickte, strich nervös über sein glattes Haar, das wie angeklebt auf seinem Schädel lag und im Nacken lang war.
    «Wir wollten weg», flüsterte er. «Nach Süden. Benno und ich. Ans Meer … Wir wollten eine Hütte aus Treibholz bauen und zwei Hunde und eine Ziege und Gemüse und Kaninchen vielleicht und Hühner!» Plötzlich schrie er: «Hühner und Kaninchen!» Immer wieder. Dann würgte er, aber es kam nichts mehr. Die andern starrten zu ihnen herüber. Florian Bader machte ein paar Schritte auf sie zu, Laura winkte ab.
    «Es tut mir leid», sagte sie leise. Mein Gott, wie oft hatte sie diesen Satz schon gesagt! Und er stimmte nicht mal. Es tat ihr nicht leid, es tat ihr weh, schnitt in ihr Herz. Am liebsten hätte sie mit ihm geschrien.
    «Sie machen einem alles kaputt», flüsterte er heiser. «Immer machen die einem alles kaputt.»
    Laura wartete eine Weile, bis er ruhiger atmete.
    «Wer sind die?»
    Er senkte den Kopf und schloss die Augen.
    «Alle», murmelte er. «Alle da draußen.»
    «Haben Sie was gesehen?»
    Er schüttelte den Kopf. Seine Arme hingen schlaff herunter. Laura schaute auf seine rechte Hand, die so kraftlos aussah, streckte ihre eigene aus und drückte die seine – ganz vorsichtig. Ein, zwei Minuten standen sie so, hielten sich fest. Dann zog Laura ihre Hand zurück.
    «Meine Kollegen werden Ihnen noch ein paar Fragen stellen …»
    «Jajajaja!», schrie er so unvermutet, dass sie heftig zusammenzuckte, dann würgte er wieder.
    Laura wandte sich um und ging. Plötzlich war der Frosch wieder da. Der dicke grüne Frosch, den sie gemeinsam getötet hatten. Weil er sich nicht wehren konnte und nicht tat, was sie von ihm wollten. Als sie den Wagen erreichte, war ihr ebenfalls schlecht.
     
    Er war weg. Nur seine Kleider in der Waschmaschine waren noch da. Laura konnte es nicht fassen. Sie sah in allen Räumen nach, fand aber keine Spur von ihm. Besonders aufmerksam inspizierte sie ihr Schlafzimmer. Er schien es nicht einmal betreten zu haben. Nichts hatte sich verändert, nichts fehlte. Hatte er etwas gegessen? Ja, er hatte. Ein Teller und ein Messer lagen, sorgfältig gereinigt, neben dem Spülbecken, und auf dem Küchentisch fand sie einen Zettel.
     
    Musste weiter. Ralf
     
    Wohin er wohl musste, dachte Laura. Zu seinem Anhänger? Seine innere Unruhe einholen? Weglaufen, weil alles zu schwierig wurde?
    Laura zog das grüne Kleid aus und ließ es einfach auf den Boden fallen. Dann stellte sie sich zum zweiten Mal an diesem Tag unter die Dusche, nur kurz, aber sie musste diesen Schlachthausgeruch abwaschen, den sie noch immer zu spüren meinte. Danach zog sie eine schwarze Leinenhose und ein weißes Baumwollhemd an und fühlte sich wieder halbwegs eins mit sich. Sie befestigte die großen silbernen Creolen an ihren Ohrläppchen und zog sich die Lippen nach. Ohne Sonnenbrille sah sie noch immer aus wie ein Schreckgespenst.
    Als das Telefon klingelte, hoffte sie auf einen Anruf ihrer Kinder. Aber es war die alte Frau Neuner aus dem ersten Stock. Lauras Kinder kauften ab und zu für sie ein.
    «Is der Luca da, Frau Gottberg?»
    «Der Luca ist in England, Frau Neuner. Es sind doch Ferien, und er wollte unbedingt Englisch lernen. Um was geht’s denn?»
    «Ah, so … in England is er. Ja mei. Wissen S’, es is so … also, des is mir jetzt peinlich, Frau Gottberg.»
    «Was denn?»
    «Ich wollt Sauerkraut zum Mittagessen machen. Und ein Wammerl.»
    «Ja?»
    «Ja, und jetzt krieg ich die Dose nicht auf.»
    «Können Sie noch fünf Minuten warten, Frau Neuner? Dann komm ich zu Ihnen runter und mach die Dose auf.»
    «Täten Sie das echt, Frau Gottberg?»
    «Tät ich echt. Also in zehn Minuten.»
    Laura betrachtete den Hörer und dachte, wie absurd das Leben sein konnte. Eine alte Frau wollte bei nahezu vierzig Grad Außentemperatur Sauerkraut und Wammerl essen und bekam die Dose nicht auf. Gleichzeitig brach unten an der Isar einem Obdachlosen das Herz, weil er einen Traum verloren hatte. Von einer Hütte am Meer und Hühnern und

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