Hundszeiten: Laura Gottbergs fünfter Fall
zurück. «Die sollen das selbst aufnehmen. Wir sind hier hoffnungslos unterbesetzt!»
Laura sandte eine SMS an ihren Sohn und bat ihn, am Abend anzurufen. Anschließend schaute sie die Zeitung durch und überflog die kleine Meldung über den Toten aus der Isar. Einspaltig, zehn Zeilen. Wenn es sich um einen Prominenten gehandelt hätte, dann wäre es der Aufmacher im Lokalteil gewesen.
Beim Weiterblättern fiel ihr auf, dass die Zahl der Todesanzeigen gewaltig angewachsen war, und ihr Blick blieb bei einem unauffälligen Kasten am Ende der Seite hängen. Dort waren die Namen Verstorbener aufgelistet, die offensichtlich ganz allein auf der Welt waren. Die Friedhofsverwaltung bat Verwandte oder Bekannte, sich zu melden. Elf Namen standen da. Vier Frauen und sieben Männer.
Von Benno wissen wir bisher noch nicht einmal den Familiennamen, dachte Laura. Vom ersten Toten gar nichts. Karl-Otto Mayer gesteht einen Mord, den er nicht begangen hat, Lea Maron ist ein Phantom, Ralf verschwunden, und mir ist schlecht. Dabei ist der Tag noch nicht mal zu Ende.
DIE SCHWARZE WOLKENWAND erreichte Siena genau in dem Augenblick, als Commissario Guerrini in den Hof der Questura fuhr. Eine gewaltige Bö erfasste sämtliche losen Gegenstände und wirbelte sie umher, Krachen und Scheppern erfüllte die Luft. Von Süden näherte sich ein orgelndes Brausen, Donner rollte über die Stadt hinweg wie Meeresbrandung, die schließlich an Felsen zerschellt. Von Westen her beleuchteten noch ein paar Sonnenstrahlen dieses Inferno, tauchten Gebäude und Türme in unwirkliches Licht.
Angelo Guerrini sprang aus dem Wagen und rannte zum Eingang der Questura, er musste sich gegen die schwere Tür stemmen, so stark war der Wind, und schaffte es mit Mühe hindurchzuschlüpfen, ehe sie hinter ihm so heftig zuknallte, dass der Fußboden erzitterte und die Fensterscheiben klirrten.
«Beh!», rief D’Annunzio. «Da haben Sie aber Glück gehabt, dass Sie nicht nass geworden sind, Commissario!»
«Eher, dass ich nichts auf den Kopf gekriegt hab. Gibt’s was Neues?» Vorsichtig rieb Guerrini sein rechtes Auge, das eine Ladung umherfliegenden Sand abbekommen hatte.
«Niente, Commissario. Nur Capponi hat nach Ihnen gefragt. Er hat irgendwelche CDs für Sie.»
«Hat er sonst noch was gesagt? Ich meine über Bomben?»
D’Annunzio wurde rot.
«Er hat nur gesagt, dass es manchmal schade sei, dass man verheiratet ist. Und ich solle mir das genau überlegen, das mit dem Heiraten.»
Guerrini brach in Gelächter aus.
«Und? Was hast du dann gesagt?»
«Nichts, Commissario. Ich war ja noch nie verheiratet.»
Draußen brach das Unwetter los. Blitze und Donnerschläge gingen ohne Pause ineinander über, es war ein einziges Krachen, Zischen, Knattern. Zuckende Lichter drangen durch die Fenster, und D’Annunzio bekreuzigte sich verstohlen, als der Commissario sich umdrehte, weil eine Tür knallte. Obwohl es erst später Nachmittag war, herrschte draußen tiefe Nacht, die nur von den Blitzen erhellt wurde.
«Ist Sergente Primavera noch da?», fragte Guerrini.
«Wer?»
«Sergente Primavera, unsere Neue!»
«Ach so! Sie muss noch da sein. Jedenfalls habe ich sie nicht weggehen sehen, und sie hat außerdem bis sieben Uhr Dienst, Commissario!»
«Bene. Ich bin in meinem Büro, wenn etwas passieren sollte.»
Guerrini ging bewusst langsam und überlegte, ob es klug sei, Sergente Primavera zum Abendessen einzuladen. Als er sein Büro beinahe erreicht hatte, war er zu dem Ergebnis gekommen, dass es zwar nicht besonders klug sei, er aber trotzdem Lust dazu hatte. Gerade wegen dieser tieferen Beunruhigung, die er beim Anblick der Signora Primavera gespürt hatte. Deshalb ging er weiter zu Tommasinis Zimmer, das jetzt auch ihres war, und klopfte leise, denn die Tür war geschlossen. Als er keine Antwort bekam, klopfte er ein zweites Mal, wartete kurz und öffnete dann die Tür.
Signora Primavera kauerte auf dem Stuhl vor ihrem Schreibtisch und hielt sich die Ohren zu. Bei jedem Donnerschlag zuckte sie zusammen. Guerrinis Anwesenheit bemerkte sie erst, als er eine Hand auf ihre Schulter legte, denn sie hatte ihre Augen fest geschlossen.
«Sergente!» Guerrini schüttelte sie leicht.
Sie starrte ihn kurz an, kniff dann die Augen wieder zusammen.
«Signora Primavera!» Guerrini schüttelte sie leicht. «Was ist denn los? Geht es Ihnen nicht gut?»
Sie brachte nur ein Krächzen hervor, räusperte sich lange, ehe sie endlich flüsterte: «Ich fürchte mich
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