Hundszeiten: Laura Gottbergs fünfter Fall
worden, wenn er seine Einfälle ausgesprochen hatte. Deshalb behielt er sie jetzt für sich. Gab eh niemanden, dem er sie hätte erzählen können. Laura vielleicht … Aber das war jetzt auch vorbei.
Schon wieder hatte er eine neue Idee. Solange die Kerle nicht da waren, konnte er doch den Platz da unten genauer ansehen. Ralf, der Privatdetektiv. War auch noch eine Möglichkeit und klang verdammt gut. Daran hatte er noch nie gedacht. Er stieß sich vom Geländer ab, schulterte seinen schweren Rucksack und beschloss, am Volksbad zum Fluss hinunterzusteigen und sich von der Ludwigsbrücke her anzupirschen. Das war sicherer als der direkte Weg über die Treppe an der Zeppelinstraße.
Als das Telefon neben ihrem Kopfkissen klingelte, war Laura sofort hellwach. Sie schaute sogar auf die Leuchtziffern ihres Weckers, ehe sie die kleine Lampe anknipste und den Hörer aufnahm. Zehn vor zwölf.
Dienst, dachte sie, drückte auf den Knopf, meldete sich aber nicht.
«Laura?»
«Sì, pronto.»
«Spero di non disturbarti!»
«Nein, du störst mich nicht. Ich habe geschlafen, aber nicht wirklich.»
«Wie dann?»
«So, als hätte ich nur einen Teil meines Bewusstseins ausgeschaltet, während der andere hellwach blieb. Ein merkwürdiger Zustand. Es muss an der Hitze liegen. Eigentlich fühle ich mich die ganze Zeit so, als hätte ich Fieber.»
«Hast du Fieber? Es klingt so, als hättest du welches. Hier in der Toskana haben sie Mücken entdeckt, die das Dengue-Fieber übertragen. Man befürchtet den Ausbruch einer Epidemie.»
«Bei uns bricht auch alles Mögliche aus.»
«Vielleicht hast du Dengue-Fieber! Bitte geh zum Arzt!»
«Ich habe kein Dengue-Fieber. Ich leide an einer Infektion des Verdauungstrakts, um es höflich auszudrücken. Es ist schon wieder besser. War nur eine kleine Attacke. Weshalb bist du so besorgt, Angelo?»
«Weil du sehr weit weg bist und ich nicht nachsehen kann, wie es dir geht. Außerdem muss ich dir eine meiner tiefen Einsichten erzählen.»
«Sehr tief?»
«Ja, schon. Bist du auch der Meinung, dass Männer, die stundenlang nur von sich selbst reden, Frauen auf die Nerven gehen?»
«Natürlich. Ist das deine tiefere Einsicht?»
«Ein Teil davon.»
«Und der andere Teil?»
«Dass Frauen, die stundenlang von sich selbst reden, Männern auf die Nerven gehen.»
«Anzunehmen. Woher hast du diese Einsicht?»
«Ich habe sie, Commissaria, reicht das nicht?»
«Nein, eigentlich liegt einer Einsicht fast immer eine Erfahrung zugrunde.»
Laura hörte Angelo seufzen, und es dauerte ein paar Sekunden, ehe er antwortete.
«Va bene, ich habe nachgedacht.»
«Über die Erfahrung?»
«Für jemanden, der gerade aufgewacht ist, bist du ganz schön hartnäckig, Laura!»
«Ah, lassen wir das. Es ist schließlich deine Erfahrung.»
«So ist es.»
«Ich bin sehr froh, dass die vielredende Dame dir auf die Nerven gegangen ist. Wie geht es deinem Vater bei dieser Hitze?»
«Wir hatten ein wildes Gewitter. Jetzt geht es uns allen besser.»
Er will wirklich nicht über die Geschichte reden, dachte Laura. Auch gut. Reden wir übers Wetter.
«Hier ist es unerträglich. Eigentlich ist alles unerträglich.»
«So schlimm?»
«Ja, sehr schlimm.»
«Wie geht es deinem Vater?»
«Er hält sich ganz gut. Aber ich mache mir trotzdem Sorgen. Die alten Leute sterben wie die Fliegen.»
«Hast du schon mal darüber nachgedacht, warum man sagt, dass Leute sterben wie die Fliegen? Also, nach meiner Erfahrung sterben Fliegen ganz langsam und geben sehr lange nicht auf.»
«Noch eine Erfahrung?»
«Laura, was ist los?»
«Gar nichts, ich bin nur müde, und meistens mag ich Wortspiele, aber heute Abend nicht.»
«Bene. Was magst du?»
«Ich weiß es nicht.»
«Vielleicht brauchst du einfach nur Schlaf.»
«Ja, vielleicht.»
«Ich würde dich jetzt gern sehen, Laura. Wenn ich dich sehe, dann weiß ich, was mit dir los ist. Ich hasse Telefongespräche, die zu Missverständnissen führen.»
«Ich auch. Deshalb lass uns jetzt aufhören und schlafen. Dormi bene, Angelo.»
«Dormi bene, amore.»
Laura betrachtete das Telefon, legte es dann behutsam auf den kleinen Tisch neben ihrem Bett und löschte die Lampe. Die Lichter vorüberfahrender Autos huschten über die Zimmerdecke, eine Straßenbahn hielt an, fuhr weiter. Laura spürte die winzige Erschütterung des Hauses und wünschte sich plötzlich einen Erdstoß, irgendwas, das die Dinge in Bewegung setzte.
Sie hatten Ralf erzählt, dass Benno
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