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Hundszeiten: Laura Gottbergs fünfter Fall

Hundszeiten: Laura Gottbergs fünfter Fall

Titel: Hundszeiten: Laura Gottbergs fünfter Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felicitas Mayall
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seiner Erkenntnis über vielredende Frauen und Männer erzählt? Sehr originell war sie wirklich nicht.
    Als Tonino sich gegen seine nackten Beine warf und mit nasser kalter Schnauze an seinen Zehen schnüffelte, schreckte er zusammen. Kurz darauf erklangen schlurfende Schritte, trockenes Husten, das Deckenlicht flammte auf und blendete ihn. Als er wieder halbwegs sehen konnte, stand der alte Fernando Guerrini am Kühlschrank, suchte eine Weile herum und holte schließlich ein großes Stück Käse heraus. Er trug ein Nachthemd aus weißem Leinen, das ihm bis knapp zu den Knien reichte, seine Haare standen nach allen Seiten ab, und er war barfuß. Tonino vergaß Guerrinis Zehen, wackelte zu seinem Herrn hinüber und hob erwartungsvoll den Kopf.
    «Vieni qua, Tonino, eh! Non sei stupido, eh?» Guerrinis Vater brach ein Stück Käse ab und gab es Tonino. Danach brach er noch eins ab und steckte es selbst in den Mund.
    Er hat mich nicht bemerkt, dachte Guerrini und räusperte sich leise. Fernando fuhr herum und starrte seinen Sohn an.
    «Denk nur nicht, dass ich einer von denen bin, die jede Nacht den Kühlschrank leer fressen. Hatte nur gerade Appetit auf ein schönes Stück parmigiano . Was machst du denn hier in der Küche? Auch Hunger?»
    Guerrini schüttelte den Kopf.
    «Durst. Ich habe ein Glas Wasser getrunken.»
    «Ah, damit dein wunderbarer Körper kein Fett ansetzt, was? Kannst du vergessen, Sohn. Ab fünfzig bekommst du einen Bauch, auch wenn du gar nichts isst. Oder hast du etwa Lust, mit diesen lächerlichen Skistöcken durch die Gegend zu rennen oder an irgendwelchen Folterinstrumenten zu schwitzen? Ich sage dir eines, mein Sohn: Die Würde des Alters gibt es nicht mehr. Die ist von den Fitnessstudios geschluckt worden!»
    «Wie schaffst du es eigentlich, mitten in der Nacht so eine Rede zu halten?»
    «Ich weiß es nicht.» Der alte Guerrini knallte die Kühlschranktür zu.
    «Bene, dann sag ich es dir! Du hast ein schlechtes Gewissen, weil du nachts Käse isst. Aber du brauchst keins zu haben: Erstens hast du fast keinen Bauch und kannst so viel Käse essen, wie du willst, und zweitens bin ich nicht hier, um dich zu kontrollieren!»
    Der alte Guerrini sah an sich hinunter und gab Tonino einen kleinen Schubs mit dem nackten Fuß.
    «Lächerlich. Ein alter Mann im Nachthemd ist lächerlich!»
    «Nein.»
    «Doch! Vor allem, wenn er seinem halbnackten Sohn gegenübersteht, der sich ganz gut gehalten hat, obwohl er schon fast fünfzig ist! Aber eine ganz andere Frage: Was machst du eigentlich mit deinem beinahe wunderbaren Körper? Lass dir diese deutsche Commissaria nicht durch die Lappen gehen, verdammt nochmal! Und zwar, ehe du einen richtigen Bauch kriegst!»
    «Musst du eigentlich immer so direkt werden, Vater?»
    «Spätestens ab fünfundsechzig sollte jeder Mensch direkt werden, Angelo! Was hat das Gerede für einen Sinn, wenn man nicht direkt ist! Dann kann man es auch sein lassen. Man lügt doch nur deshalb sein Leben lang, weil man sich davon Vorteile verspricht oder Angst hat! Ab fünfundsechzig muss das aufhören! Dann gibt es keine Vorteile mehr, und man braucht auch keine Angst mehr zu haben! Jedenfalls nicht mehr vor den Mitmenschen! Und ich bin fast neunundsiebzig, da gibt es keinerlei Grenzen mehr!»
    «Sag mal, hältst du nachts immer solche Vorträge?»
    «Natürlich! Aber sonst ist ja niemand da, der mir zuhört! Nur Tonino. Keiner will die wesentlichen Dinge des Lebens wissen.» Der alte Guerrini machte den Kühlschrank wieder auf und nahm ein zweites Stück Käse für sich und Tonino heraus.
    «Nicht schlecht, dass du da bist, Angelo. Ich dachte erst, dass es mich stören würde. Aber es ist besser, als Selbstgespräche zu führen.» Er lächelte, hob grüßend die Hand und verschwand im Flur. Er sah ein bisschen aus wie ein Geist in seinem weißen Nachthemd, ein Geist auf dünnen nackten Beinen.
    «Soll ich das Licht wieder ausschalten?» Seine Stimme hallte.
    «Ja, der Mond ist hell genug!» Guerrini öffnete das Küchenfenster und setzte sich neben den großen Topf mit frischem Basilikum. Er hat recht, dachte er. Er hat verdammt recht, der alte Herr.
     
    Laura fuhr aus dem Schlaf hoch, irgendwer hatte geschrien. In ihrem Traum, jetzt erinnerte sie sich. Ihr Haar war schweißnass, das dünne Hemd klebte auf ihrer Haut. Langsam stand sie auf, tastete sich zum Fenster und schaute auf die schmale Straße hinunter. Da unten war alles still, nur die Straßenbahn näherte sich aus der

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