Hundszeiten: Laura Gottbergs fünfter Fall
umgebracht worden war, seine Kollegen unter der Ludwigsbrücke. Sie hatten auch gesagt, dass sie überlegten wegzugehen, aber dass sie eigentlich diesen rechten Schweinen das Feld nicht überlassen wollten. Sie hatten Angst, seine drei Kollegen unter der Brücke. Er hatte auch Angst. Er hatte Benno gekannt. Nicht besonders gut, aber ein bisschen. War in Ordnung, der Benno. Gewesen. In Ordnung gewesen. Ralf versuchte sich vorzustellen, dass Benno tot war. Dass er gestern noch gelebt hatte, so wie er selbst, und dann plötzlich tot war. Es ging nicht. Er hatte es noch nie geschafft, sich das vorzustellen. Den Tod. Dass Leute erst da sind und plötzlich nicht mehr. Bei seinem Hund hatte es auch nicht funktioniert. Dass der eben noch an der Straße entlanglief und dann tot dalag.
Aber Ralf hatte wieder eine Idee. Die passte zu der anderen, der von dem Detektiv. Er würde die Mörder von Benno finden und die von dem andern Kameraden, von dem Laura erzählt hatte. Wenn er an diese Idee dachte, dann ging es ihm besser, und die Angst wurde weniger.
Drüben auf der anderen Seite der Brücke war es noch immer still. Vielleicht kommen sie heute nicht, dachte Ralf. Kann ja sein, dass sie heute nicht kommen.
«Was machste denn?», fragte einer seiner Kameraden verblüfft, als Ralf weiter auf die Kiesbänke zuging. «Hast se wohl nich mehr alle!»
Ralf antwortete nicht, duckte sich hinter die hohen Schilfhalme und ging langsam weiter auf die Stelle zu, an der jeden Abend das Feuer loderte. Sein Herz schlug schnell und hart, doch er ging weiter. Schritt für Schritt. Anschleichen konnte er gut, hatte er schon oft gemacht. Aber irgendwann hörten die hohen Schilfhalme auf, und die leere, weite Kiesbank lag vor ihm. Niemand war zu sehen, obwohl die Nacht längst hereingebrochen war. Vielleicht waren sie wirklich weg. Verhaftet oder vertrocknet, wie er es sich gewünscht hatte.
Die Kiesel schimmerten hell im Mondlicht. Vorsichtig wagte Ralf sich auf die offene Fläche hinaus, horchte, spähte in die Dunkelheit, fand den großen, beinahe kreisrunden Platz, an dem das Feuer jeden Abend gebrannt hatte. Hier waren die Steine schwarz, und Reste verkohlter Äste lagen noch herum. Ralf stolperte über eine leere Flasche, lauschte erschrocken, weil es laut klirrte. Aber alles blieb still. Oben an der Straße, oberhalb der Mauer, standen die Bäume wie eine dunkle Wand, dahinter leuchtete das Kino. Dann sah er sie kommen. Sie kamen schnell, mindestens fünf oder sechs. Genau konnte er es nicht erkennen. Sie hatten ihn gesehen, schrien irgendwas.
Ralf rannte. Nicht zurück zu den Kameraden, sondern isaraufwärts. Ein Fehler, dachte er, aber zurück konnte er nicht mehr, denn die andern hatten die Verfolgung aufgenommen. Sein Rucksack war schwer. All die Isarsteine. Zum Glück kannte er sich gut aus, duckte sich zwischen die Weidenbüsche, hoffte, dass der Fluss aufgrund der Hitze flach genug sein würde, um durchzuwaten und das Ufer vor der Reichenbachbrücke zu erreichen. Drüben gab es auch Kollegen. Die konnten ihm helfen.
Er hörte sie, die Höllenhunde. Sie lachten laut, schrien. Aber er verstand nichts, rannte nur, erreichte das Ende der Kiesbank und lief ins Wasser.
Es war nicht flach. Ralf ging sofort unter, ruderte wild mit den Armen, kam kurz hoch, schnappte nach Luft. Dann zog sein Rucksack ihn wieder in die Tiefe. Ein paarmal schaffte er es, wieder hochzukommen, dann verließ ihn die Kraft.
GUERRINI STAND in der Küche seines Vaters und trank ein Glas Wasser. Er hatte kein Licht gemacht, weil der Mond hell genug durch die Fenster schien. Das Unwetter war vorbei, der Himmel wieder klar. Es war spät, aber er konnte nicht schlafen. Nicht der verunglückte Abend mit Signora Primavera beunruhigte ihn, sondern das Telefongespräch mit Laura. Er hatte sich völlig idiotisch verhalten, konnte selbst nicht verstehen, warum er nicht von diesem absurden Abend erzählt hatte. Sie hätte gelacht. Er war sicher, dass Laura gelacht hätte. Jedenfalls hoffte er das.
Carlotta, seine Exfrau, hätte nicht gelacht, sie wäre ihm an die Gurgel gegangen. Carlotta war extrem eifersüchtig, als sie noch ein Paar waren. Vielleicht hatte er Laura deshalb nichts von dem Abend mit der neuen Kollegin erzählt. In dieser Beziehung hatte er Laura noch nie auf die Probe gestellt. Vielleicht sollte er noch einmal bei ihr anrufen. Aber sie war krank und müde. Er wollte sie nicht beunruhigen. Warum hatte er überhaupt diese blödsinnige Geschichte von
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