Hundszeiten: Laura Gottbergs fünfter Fall
nicht so heiß wie draußen. Saß sich ganz gut hier. Wär auch ein guter Platz zum Schlafen. Sicher auf alle Fälle. Er könnte sich einschließen lassen … ging aber nicht, wegen seiner Platzangst.
Bei der Vorstellung, dass er nicht mehr rauskönnte, drehte er sich schnell zur Pforte um und stellte erleichtert fest, dass sie offen stand. Es war ja auch noch nicht spät, erst früher Abend. Er hatte keine Ahnung, wann Kirchen abgeschlossen wurden. Jetzt wäre es schön, wenn die Orgel spielen würde. Aber er brauchte sie gar nicht wirklich, er hörte sie auch so. In seinem Kopf.
Zwischendurch dachte er nach. Warum er sich ausgerechnet heute zum ersten Mal in die Lukaskirche getraut hatte, zum Beispiel. Ihm fiel nur ein, dass es vielleicht was damit zu tun hatte, dass er letzte Nacht zum ersten Mal seit Jahren in einer Wohnung geschlafen hatte. Und er hatte nur ein bisschen Platzangst gehabt. Am Anfang ganz viel, aber dann nur noch ein bisschen, weil die Balkontür offen war und alle anderen Türen auch. Nur die von Laura war zu. Das fand er in Ordnung.
Aber dass sie Polizistin war, darüber kam er nicht weg. Es tat ihm weh, tief drinnen. Weil er geglaubt hatte, dass sie ihn ein bisschen mochte. Jedenfalls, bevor er den BMW gesehen und sie bei den Kerlen an der Isar entdeckt hatte. Geahnt hatte er es schon die ganze Zeit, geahnt. Sie war schließlich keine von der Straße, sah gut aus, hatte ordentliche Klamotten und alles. Mein Gott, war er wieder mal ein Trottel gewesen!
Vorsichtig betastete er seine Nase. Sie tat weh, ganz oben, fast zwischen den Augen. Blaue Augen hatte er inzwischen auch, nicht so schlimm wie Laura, aber dafür zwei. Und er wusste nicht weiter. Seinen Anhänger konnte er erst mal vergessen. Abgeschlossen war er, mehr war nicht drin. Die eine Hundebesitzerin, die mit den goldenen Ohrringen und dem Retriever, hatte ihm zehn Euro gegeben. Wollte nicht mal Steine dafür. Das war jetzt sein Grundkapital. Die besten Steine hatte er in seinen Rucksack gepackt. Grundkapital zwei. Das war’s dann schon.
Vielleicht sollte er besser mehr nördlich oder südlich an der Isar kampieren. Möglichst weit weg von diesen Figuren am Deutschen Museum. Die waren gefährlich, das wusste Ralf inzwischen.
Aber es fiel ihm schwer, von der Stadt fortzugehen. Hier kannte er beinahe jeden Kiesel am Fluss, alle Brücken, alle Verstecke und öffentlichen Toiletten und Trinkwasserstellen. Außerdem kannte er die Leute, zumindest ziemlich viele.
Er war noch nie besonders gut darin gewesen, Entscheidungen zu treffen. Heute Nacht würde er jedenfalls wieder in einer Nische der Lukaskirche schlafen, draußen. Aber vorher wollte er nachschauen, was die Scheißkerle unten auf der Kiesbank machten. Vielleicht verschwanden sie ja einfach. Vielleicht lochte die Polizei sie ein, und sie waren weg. Dann könnte er seinen Anhänger reparieren, und die Dinge wären wieder in Ordnung. Er hob den Kopf und schaute zum Altar, überlegte kurz, ob er beten sollte. Aber er wusste nicht genau, wie das ging, deshalb ließ er es bleiben.
Ein Hundebesitzer ging zweimal um Lauras Dienstwagen herum, bückte sich ein bisschen und schaute zu ihr herein.
«Alles in Ordnung?», fragte er.
Seine Frage weckte Laura aus ihrer Erstarrung, und sie brachte es fertig zu nicken.
«Darf ich Sie darauf aufmerksam machen, dass Sie mit Ihrem Wagen auf einem Fußweg in einem öffentlichen Park stehen. Ich glaube, das ist nicht ganz legal.» Seine Stimme klang höflich, fast sanft. Sein Hund, ein Irischer Setter, stand hechelnd neben ihm. Die Zunge des Tiers erschien Laura überdimensional lang, sie tropfte. Vermutlich lag auch das an der Hitze.
«Danke für den Hinweis», entgegnete sie.
«Nichts zu danken.» Er verbeugte sich leicht und ging langsam weiter, ein schlanker, eleganter Mann um die sechzig. Der Hund hatte sich inzwischen hingelegt und schaute – gemeinsam mit Laura – seinem Herrn nach. Der drehte sich nach zwanzig Metern um, hob grüßend die Hand und rief nach dem Hund. Mühsam rappelte sich der Setter auf, warf Laura einen anklagenden Blick zu, zog kurz die Zunge zurück und trabte los. Jetzt hing die Zunge seitlich aus seinem Maul. Erstaunlich, dachte Laura und startete endlich den Motor.
Noch einmal fuhr sie zum Fluss hinunter und hielt Ausschau nach Ralf. Als sie am Maximilianeum wieder auf die Straße zurückkehrte, rief Kollege Bader an und teilte mit, dass die beiden Penner den Toten aus der Isar identifiziert hatten. Sein
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