Hundszeiten: Laura Gottbergs fünfter Fall
normalen Todesfall. Der Arzt hat uns gesagt, dass der alte Herr an Herzversagen gestorben ist. Wir warten jetzt eigentlich nur noch auf die Ankunft seines Sohnes, der mit dem Flugzeug aus Hamburg kommt.»
«Es handelt sich um einen ganz normalen Todesfall. Ich hatte eine spezielle Beziehung zu dem alten Herrn. Er hat nicht zufällig einen Brief oder eine Nachricht hinterlassen?»
«Es gibt einen Umschlag für eine Frau Gottberg. Das sind wohl Sie, wenn ich richtig gelesen habe.»
Laura legte ihre Hände kurz über die des Toten und wandte sich dann zur Tür. Bevor sie dem Herrn Kowalski endlich folgte, schaute sie noch einmal zurück.
«Könnten Sie mir den Umschlag geben, bitte!»
«Sie müssen mir allerdings eine Bestätigung unterschreiben, dass Sie den Umschlag bekommen haben.» Kowalski schien sich nicht sicher zu sein.
«Sie können sich meinen Ausweis gern nochmal ansehen», sagte Laura.
«Ja, wenn das möglich ist …» Diesmal schien er Lauras Dienstausweis regelrecht zu studieren. Dann verschwand er im Wohnzimmer und zeigte ihn seinem Kollegen. Schließlich kehrte er mit einem kleinen Briefumschlag zurück, ließ Laura eine Art Quittung unterschreiben und reichte ihr erst danach Umschlag und Ausweis. Sie bedankte sich und drückte ihm eine ihrer Visitenkarten in die Hand.
«Bitte geben Sie meine Karte dem Sohn von Herrn Mayer. Er soll sich unbedingt mit mir in Verbindung setzen. Sagen Sie ihm, es sei sehr wichtig!»
Danach ging sie langsam den langen dunklen Flur entlang, vorüber an den verschlossenen Zimmern, die der alte Mann seit Jahren nicht mehr geöffnet hatte, weil er sie nicht brauchte. Sie lief die Treppe hinunter, stolperte und wäre beinahe gefallen. Danach klopfte ihr Herz sehr schnell, und als sie endlich im Wagen saß, wollte sie weinen, aber es ging nicht.
Behutsam öffnete sie den Umschlag, zog ein liniertes Blatt heraus und las:
Hiermit bekenne ich, Karl-Otto Mayer, geb. am 15. April 1918 in München, dass ich Gustav Dobler aus triftigen Gründen vergiftet habe.
Hochachtungsvoll
Karl-Otto Mayer
Außer dem linierten Blatt mit der krakeligen Schrift des alten Mannes lag noch ein vergilbtes Foto im Umschlag. Es zeigte eine junge Frau und ein kleines Mädchen, die beide in die Kamera lachten. Auf der Rückseite des Fotos stand: Esther und Lea Maron, 1942. Laura steckte Foto und Brief in den Umschlag zurück und weinte.
Ralf wachte auf, weil sein Gesicht brannte. Die Sonne schien auf seine rechte Backe. Mit dem Brennen kam auch die Erinnerung zurück. Er fuhr auf, rollte sich herum, denn er hatte auf dem Bauch gelegen, und versuchte, sich zurechtzufinden. Er konnte den Turm des Deutschen Museums sehen und den grauen Damm aus Beton, der die Isar vom Kanal trennte. In seiner Nähe hockten und lagen lauter Leute mit komischen Frisuren auf halbkahlen Schädeln herum. Die Vorhölle und der Orangefarbene fielen ihm wieder ein. Jetzt wurde sein Kopf klarer. Punker hatten ihn aus der Isar gezogen, keine Teufel. So war das.
Sein T-Shirt und seine Jeans waren noch ein bisschen klamm, obwohl es wieder wahnsinnig heiß war. Er fröstelte sogar, hatte wahrscheinlich die ganze Nacht in nassen Klamotten geschlafen. Sein Kopf schmerzte, und er spürte einen scheußlichen Geschmack im Mund, als hätte er Schlamm gefressen. Langsam setzte Ralf sich auf, betastete seine Nase, suchte dann nach seinem Hut, konnte ihn aber nirgends sehen. Der Rucksack war da, ein Glück, denn sein ganzes Grundkapital steckte in diesem Rucksack.
Er brauchte dringend einen Kaffee, um den brackigen Geschmack aus dem Mund zu kriegen. Wenn er seinen Anhänger noch hätte, dann könnte er jetzt nach Hause gehen und sich einen Kaffee machen. Er hatte immer heißes Wasser in einer Thermoskanne. Alle ein, zwei Tage holte er eine große Kanne voll bei einem kleinen Stehausschank. Der Laden gehörte einem Griechen in Ralfs Alter, und der fand es ganz natürlich, dass jemand heißes Wasser brauchte, um sich einen Kaffee zu machen.
Jetzt kam der Orangefarbene auf ihn zu, der mit den Zacken auf dem Kopf und dem Ring in der Nase. Jetzt, bei Tageslicht, konnte Ralf sehen, dass Arme und Brust des Mannes mit schwarzen Ornamenten tätowiert waren. Er trug einen schwarzen Spitzbart und hatte sehr dunkle Augen unter buschigen Brauen. Würde wirklich glatt als Teufel durchgehen, dachte Ralf.
«Na, wieder auf ’m Damm?» Breitbeinig stand der Orangefarbene vor Ralf und schaute auf ihn herunter.
«So halbwegs, denk
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