Hundszeiten: Laura Gottbergs fünfter Fall
beitreten.»
«Mach dich nicht über mich lustig!»
«Mach ich nicht. Ich meine es ernst!»
«Und warum nicht auch du? Warum nur ich, he?»
«Ja, auch ich! Aber du hast mehr Zeit als ich!»
«Für unser Land muss man sich die Zeit nehmen, verdammt nochmal. Genau deshalb geht alles den Bach runter, weil Leute wie du keine Zeit haben! Wir müssen es denen zeigen! Alles muss anders werden in diesem Land, alles!»
«Das sagen wir Italiener, seit es diesen Staat gibt!»
«Tu nicht so abgeklärt!»
«Tu ich gar nicht, es ist nur die Wahrheit! Hast du deine Bemerkung eigentlich ernst gemeint, dass man auf Menschen leichter verzichten kann als auf Bäume?»
«Ich habe sie ernst gemeint! Nicht auf alle Menschen natürlich, aber ich könnte dir sofort zwanzig Leute aufzählen, auf die ich verzichten könnte, wenn dafür die alten Olivenbäume wieder wachsen würden, die sie bei Montalcino abgesägt haben, um noch mehr Brunello anzupflanzen und noch mehr Geld zu machen.» Fernando Guerrini schnaubte wie ein wütender Stier.
«Du klingst ganz so, als hättest du das Potenzial zum Ökopartisan, Vater.»
«Und du zum Politiker!»
«Das war eine Beleidigung.»
«So war es auch gedacht, vielleicht regst du dich dann endlich auf.»
«Ich rege mich ja auf, verdammt nochmal! Aber da du dich gerade für drei aufregst, muss ich nicht auch noch rumbrüllen!»
«Ah!» Der alte Guerrini schlug mit der flachen Hand auf den Tisch.
«Soll ich dir mal was sagen, Vater? Erinnerst du dich an die uralte Schirmpinie auf dem Hügel links von der Straße nach Rosia?»
«In der Gegend, wo ich früher jagen gegangen bin und du unter der Pinie auf mich gewartet hast?»
«Genau die! Wenn jemand diese Pinie abbrennt oder umsägt, dann werde ich zum Rächer der toten Bäume, das kann ich dir versprechen!»
«Und warum nicht sofort?»
«Weil ich im Moment die Aufgabe habe, die Mörder von Menschen zu finden. Also teilen wir uns die Aufgaben, ja? Du übernimmst die toten Bäume, ich die toten Menschen.»
«Du solltest doch Politiker werden!»
Angelo Guerrini musste lachen, und nach ein paar Sekunden stimmte sein Vater ein.
«Können wir jetzt endlich diese köstliche panzanella zu Ende essen?»
«Meinetwegen», knurrte der alte Guerrini und zog seinen Teller wieder zu sich heran. Diesmal aßen sie schweigend. Nur Tonino ließ ein lautes Seufzen hören.
«Willst du noch Käse oder Obst?», fragte Angelos Vater, als sie die Salatschüssel geleert hatten.
«No, grazie. Sono contento. Ich muss jetzt leider telefonieren. Es ist sehr wichtig!»
«Na, ich hoffe, du rufst diese Laura an. Ich mag sie, verstehst du! Carlotta war in Ordnung, aber nichts für dich. Du brauchst eine Frau, die dich auf Trab hält! Ruf sie schon an! Sie hat zwei Kinder, nicht wahr? Dann krieg ich wenigstens auf diese Weise Enkel. Der Dottor Gottberg hat mir erzählt, dass es zwei wunderbare junge Leute sind. Sie können sogar Italienisch. Also schaff sie schon her, Angelo! Das ewige Leben hab ich nämlich nicht!»
Guerrini sparte sich eine Antwort. Sein Vater war schon immer sehr direkt gewesen, und im Alter wurde er noch direkter. Irgendwie gefiel es ihm. Mitunter konnte man von den Eltern sogar etwas lernen. Und so beschloss er, dieses wichtige Telefongespräch sehr direkt zu führen.
ZWEI SCHEIBEN Zwieback und ein bisschen Joghurt, mehr hatte Laura an diesem Abend nicht essen können. Sie fühlte sich zerschlagen, trauerte um Karl-Otto Mayer und war gleichzeitig froh, dass es wenigstens ihrem Vater gutging. Stolz hatte er am Telefon verkündet, dass er einen Brief an Fernando Guerrini geschrieben hätte – in astreinem Italienisch, vor einem großen Ventilator sitzend und ein Glas Bianco di Pitigliano trinkend.
Frau Neuner aus dem ersten Stock hatte sich über die Einkäufe gefreut und Laura eine Flasche alten Cognac schenken wollen – aus den Beständen ihres verstorbenen Mannes. Laura hatte abgelehnt und fragte sich, warum sie von der älteren Generation ständig mit starken Getränken konfrontiert wurde. Vielleicht hatten die das Leben nach dem Krieg nicht anders ausgehalten. Dabei kam ihr der Gedanke, dass die offiziellen Gesundheitsratschläge manchmal ziemlich naiv klangen angesichts der Tragödien, die das Leben den Menschen verordnete.
Was hatte ihr Vater kürzlich gesagt, als wieder eine bundesweite Gesundheitskampagne für Senioren gestartet wurde? «Ich begreife überhaupt nicht, warum die uns ständig mit Fitnessprogrammen, gesunder
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