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Hundszeiten: Laura Gottbergs fünfter Fall

Hundszeiten: Laura Gottbergs fünfter Fall

Titel: Hundszeiten: Laura Gottbergs fünfter Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felicitas Mayall
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verschwunden, und bei euch brennen die Wälder. Willst du noch mehr Gründe hören?»
    «Grazie, veramente di no! Wann soll ich kommen?»
    «Subito, Angelo. Ganz schnell!»
    «Ich werde morgen Urlaub nehmen und dann den nächsten Zug von Florenz, vielleicht bekomme ich auch noch einen Flug! Versuch zu schlafen, häng feuchte Laken an die Fenster. Das mache ich bei großer Hitze. Dusche, ehe du dich hinlegst, und trockne dich nicht ab. Mach dir einen Tee aus Wacholderbeeren, den hat mir meine Mutter immer gemacht, wenn mein Bauch nicht in Ordnung war. Wacholderbeeren und Wermutkraut … warte, sie hat noch etwas hineingemixt … Tausendgüldenkraut, das war es. Ich glaube, sie war wirklich eine Hexe.»
    Laura lachte nun doch, aber sie spürte Tränen in den Augen. «Eine wunderbare Hexe und sehr klug, Angelo. Meine Mutter hat mir nämlich etwas Ähnliches zusammengebraut, wenn ich Bauchweh hatte. Ich habe es nur verdrängt, weil es abscheulich schmeckte.»
    «Trink es!»
    «Ich verspreche es!»
    «Bene, ich sag dir morgen, wann ich ankomme.»
    «Kannst du so einfach weg?»
    «Es ist ein Notfall, nicht wahr?»
    «Ja, es ist ein Notfall.»
    «Ci vediamo, Laura! Und trink den Tee!»
    «Buona notte, Angelo.»
    Laura legte das Telefon zurück, ging in die Küche und suchte die Ingredienzien für den Magentee der toskanischen Hexen. Es war alles da.
    Notfall, dachte Laura. Ich bin ein Notfall.
     
    Sie trank ihren Tee und rollte sich auf dem Sofa zusammen, schlief bis kurz vor Mitternacht. Dann war sie hellwach, kein Gedanke mehr an Schlaf. Sie rief Florian Baders Handy an.
    «Ja, sie sind da», meldete er. «Aber sie sind nicht laut, keine Hassgesänge heute Abend. Geht es Ihnen besser?»
    «Allmählich.»
    «Etwas hat sich verändert hier unten. Aber wir wissen nicht, was.»
    «Soll ich kommen?»
    «Nein, wir schaffen das schon allein. Werden Sie lieber gesund.»
    «Aber ihr versprecht, dass ihr mich sofort ruft, wenn sich etwas tut!»
    «Natürlich.»
    «Dann vielleicht bis später.»
    Laura trank noch eine Tasse Hexentee. Er war inzwischen beinahe schwarz und schmeckte wie pures Gift. Danach klemmte sie ein Fieberthermometer unter den Arm, aber sie hatte kein Fieber. Es war nur diese permanente und unerträgliche Hitze. Sie duschte und trocknete sich nicht ab, legte sich aufs Bett. Inder essen scharfes Curry, damit sie schwitzen und die Verdunstungskälte die Hitze erträglich macht, dachte sie. Aber der Gedanke an scharfes Curry drehte ihr den Magen um. Sie konnte nicht schlafen, fürchtete die Nachtgedanken. Deshalb knipste sie ihre Leselampe an und griff nach dem Buch des polnischen Reporters, das Emilio Gottberg ihr empfohlen hatte. Sie schlug es irgendwo auf.
     
Berlin, 4. August 1994
Seit dem Morgen ist die Stadt von Sonne durchflutet. Sie ist überall, beherrscht alles. Die Menschen sind erschöpft vom heißen Sommer, müde, gereizt aggressiv. Dabei sind erst 30 Grad. Und wenn die Temperatur auf 40 Grad klettert? Auf 50 und noch höher? Wann immer ich so extreme Temperaturen (Hitze, Kälte) erlebe, denke ich an die enge Beziehung zwischen Klima und Moral … In Los Angeles kommt es bei der ärgsten Hitze vor, dass Menschen, wütend, weil ihnen einer mit dem Wagen in die Quere gekommen ist, auf ihn schießen. Ein Mord, begangen in von der Sonne ausgelöster Furie. Wenn wir in größter Hitze keinen Schutz finden, fühlen wir uns gepeinigt, bedroht. 20, 30 Grad genügen, um alle Menschlichkeit in uns zu betäuben.
     
    Ein Nachtfalter umkreiste die Lampe, flüchtete vor der Hitze in die Dunkelheit und kehrte wieder zurück, um erneut zu fliehen. Konnten die Morde an der Isar etwas mit der unmenschlichen Hitze zu tun haben? Konnte das der entscheidende Auslöser gewesen sein? Vielleicht waren ein paar verwahrloste Jugendliche durchgeknallt. Alkohol und Hitze, gepaart mit Hass. Vielleicht hatten die grölenden Neonazis nichts damit zu tun. Solche Fälle hatte es immer wieder gegeben, auch ohne Hitzewelle. Alkohol und Hass reichten schon – manchmal auch Hass allein.
    Der Nachtfalter flatterte hilflos gegen die heiße Glühbirne. Laura fing ihn in der Höhlung ihrer beiden Hände, trug ihn auf den Küchenbalkon und entließ ihn in die Nacht. Wieder im Bett, betrachtete sie die Innenfläche ihrer Hände. Seine Flügel hatten winzige Spuren von Silberstaub zurückgelassen. Laura griff nach ihrem Buch und blätterte weiter. Der polnische Journalist hatte seine Gedanken in einer Art Tagebuch niedergeschrieben,

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